News aus dem Kanton St. Gallen

Von Schubert bis zu Star Wars

von Katharina Meier
min
29.01.2024
«Ich mag Instrumente, die leben», sagt Kantor Stefan Wieske von der Reformierten Kirchgemeinde Niederuzwil. Sichtlich ans Herz gewachsen ist ihm die Kuhnorgel aus dem Jahr 1938. Nicht ohne Grund.

Zusammen mit dem Kirchenvorsteherschaftspräsidenten Valentin Arnold kauert er kurz vor Weihnachten im Unterraum der Orgel, als sässe er wie Jona im Bauch des Wals und müsse darüber nachdenken, ob die Orgel für immer verschwinden und einer E-Orgel Platz machen soll oder nicht. Wieske hätte es wohl das Herz gebrochen, wenn die Kirchbürgerinnen und Kirchbürger den billigeren Weg beschritten hätten. Doch so weit ist es nicht gekommen. «Gott sei Dank. Es wäre eine Sünde gewesen», und wählt dieses Wort sehr bewusst.

Goll versus Kuhn

Denn diese Orgel in Niederuzwil ist etwas Besonderes. Sie wird als letzte pneumatische Orgel ihrer Art bezeichnet und ersetzte 1937 das damals auf der Empore platzierte Instrument. Orgelbauer Theodor Goll aus Luzern widersetzte sich dem Wunsch der Uzwiler, ein neues Instrument im Chorraum zu platzieren.

Bei der Einweihung musste die Orgel bombastisch anzuhören gewesen sein: satt, voll, mit weichen grundtönigen Klängen

Sein beruflicher Kontrahent Theodor Kuhn hingegen überholte die alte Orgel, damit sie «bis zu einem künftigen Neubau» spielt, und schickte 1935 ein erstes Angebot für ein neues Instrument im Chorraum nach Niederuzwil. Orgelexperte Hans Biedermann aus Amriswil schliesslich gestaltete den Entwurf zum Vertrag über eine pneumatische Orgel mit 27 Registern, vier Transmissionen und fünf Auszügen. 

Lieblicher, romantischer Klang

Bei der Einweihung musste die Orgel bombastisch anzuhören gewesen sein: satt, voll, mit weichen grundtönigen Klängen. Was von aussen niemand sah, waren die Wege, welche die Töne gingen, wurden sie jeweils am Spieltisch angeschlagen. Beim Tastendruck öffnete sich ein Ventil und die Luft rauschte durch eines der 1600 Bleiröhrchen, bewegte Bälgchen und Membrane, strömte auf verschlungenen Wegen hinauf zur entsprechenden Orgelpfeife, liess die metallenen Zugen vibrieren und erschallte im Chor mit den anderen Tönen im Kirchenraum. 

Tempi passati. Zweimal erfährt die Orgel kleinere Eingriffe, immer wieder wird über ihren Rausschmiss diskutiert, ehe sie 1990 unter die Barockisierungswelle gerät und massiv umgebaut wird. Das Insrument verliert nicht nur ihren romantischen Klang, sondern, was viel gravierender ist, gewisse Register werden umgestaltet und mehrere tiefe Pfeifen des teuersten Registers werden stummgeschaltet. «Aus heutiger Sicht war dies ein fragwürdiger Eingriff», heisst es in einem Gutachten.

Beim Tastendruck öffnete sich ein Ventil und die Luft rauschte durch eines der 1600 Bleiröhrchen, bewegte Bälgchen und Membrane, strömte auf verschlungenen Wegen hinauf zur entsprechenden Orgelpfeife, liess die metallenen Zugen vibrieren und erschallte im Chor mit den anderen Tönen im Kirchenraum.

Die romantischen Klänge, die die Orgel hatte, wurden nivelliert. «Damit hat man aus einer wirklich einzigartigen Orgel eine Durchschnittsorgel gemacht, die Besonderheiten fehlen, die barocken Töne überzeugen nicht», heisst es im Gutachten weiter. «Der volle, zarte Klang ist weg. Heute sind die Töne härter, schärfer», bestätigt Wieske die Umintonierung.

Lebensende erreicht

Jetzt, kurz vor dem Lebensende der Orgel, soll sich dies ändern. «Die Kirchbürgerschaft ist sich bewusst geworden, welchen kulturellen Schatz wir hier haben und dass wir ihn erhalten müssen.» Das Ja beim Grundsatzentscheid, die Orgel zu restaurieren, war deutlich. An der kommenden Kirchbürgerversammlung gilt es nun, die Finanzierung zu sichern. Die Kosten werden sich wohl über der 200 000-Franken-Grenze bewegen. «Der Schimmel hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Blasebalge und die Abschüsse bei den Ventilen sind allesamt aus Ziegenleder. Es ist teilweise spröde und vor allem vom Pilz befallen.» Ein Blick zur Decke im Innern der Orgel bestätigt dies zudem. «Deshalb wird die Restaurierung und das Zurückversetzen in den Originalzustand wohl etwas teurer», so Arnold. Doch es sei der Wert, nicht der Preis, der das Instrument ausmache. Für die Revision, das heisst fürs Reinigen, Erneuern der Lederteile und für die klanglichen Ergänzungen und Rekonstruktionen, muss mit drei Monaten gerechnet werden. 

Dann werden auch die fast 100-jährigen Zungen – ein grosser Schatz, so Wieske – wieder die Trompeten imitieren: «Und das Wunderwerk wird nicht mehr quäken, sondern leben!» – «Und wir werden wieder die ganze Bandbreite an Musik, von Schubert bis Star Wars, genüsslich hören können», freut sich Arnold mit.

Von einer Orgelpfeife Götti oder Gotte sein

Die Bürgerschaft der Ref. Kirchgemeinde Niederuzwil hat sich klar für eine Restau-rierung der Orgel in ihrer «Kunkler»-Kirche entschieden. Um die Finanzierung zu sichern, bietet die Arbeitsgruppe Orgelrevision auch Patenschaften für Pfeifen an. Wer je einen Blick in den «Bauch des Wals» geworfen hat, das Labyrinth an Ventilen, die Bleiröhrchen sah und hörte, wie das Instrument klingt, dem fällt dieser Schritt leicht. Dieses Wunderwerk der Pneumatik und Mechanik hat als kultureller Schatz Unterstützung verdient. Nicht umsonst heisst die Spendenaktion «Liebestöne».

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