News aus dem Kanton St. Gallen
Gedanken zum Bettag

Wurzeln und Flügel

von Martin Schmidt, Kirchenratspräsident St. Gallen
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12.09.2024
«Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel» (Johann Wolfgang von Goethe). Gedanken des Kirchenrates zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag vom 15. September.

Die Diskussion um die christlichen Werte ist so aktuell wie nie zuvor. Die Frage nach den Werten, nach denen wir leben, die Frage nach den «Wurzeln und den Flügeln» ist nicht vorbei. Wir leben in einer Zeit, in der die Kirchen an Bedeutung verloren haben, aber ohne die christlich-jüdische und kirchliche Tradition und ihre Wurzeln wären wir nicht da, wo wir sind.

Der Kern aller Menschenbildung muss religiöse Bildung sein.

Christliche Wertvorstellungen stehen für die moralischen und ethischen Aspekte des christlichen Glaubens, die auf die Bibel und auf Jesus Christus zurückzuführen sind. Daran kommen wir im christlichen Abendland nicht vorbei. Unsere Gesellschaft ist nur lesbar und verstehbar auf dem Boden dieser christlichen Grundsätze und Wertevorstellungen.

Freiheit ist ein christlicher Wert

Jede Gemeinschaft beginnt mit einer Verständigung auf bestimmte Werte; und es ist sinnvoll, sich auf diese Abmachung immer wieder zu besinnen: Werte, die sich aus unserem christlichen Abendland herausgebildet haben, sind unter anderem Glaube, Liebe, Hoffnung, Barmherzigkeit, Solidarität und Respekt sowie Gerechtigkeit und Recht. Wir sind immer noch überzeugt, dass es sinnvoll ist, nach ihnen zu leben. Christliche Werte sind die zeitlos moderne Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart – die Basis für eine zukunftsfähige freiheitliche Gesellschaft. Auch die Freiheit ist ein zutiefst christlicher Wert, wenn Martin Luther von der «Freiheit eines Christenmenschen» spricht.

Trainingslager für Identität

Unser Land, unsere Gemeinden müssen Orte sein, in denen diese Freiheit nicht zum Individualismus führt, sondern zu einer Wertegemeinschaft, einer «Caring Community», die füreinander da ist. Wir sollen die Werte der Gemeinschaft, der Verbundenheit des Respekts und der Verbindlichkeit hochhalten. Gemeinden sind so das Trainingslager zum Einüben von Identität und Integration. Es geht um die Werte, die wir im Konsens mit den anderen stärken und entdecken müssen.

Dazu braucht es Bildungsangebote für mehr Handlungssicherheit im Umgang mit anderen Kulturen, Religionen und ethischen Prägungen in unserer Gesellschaft. Es braucht «Wertebildung und Wertevermittlung». Gerade der Frage der Werte und der Ethik kommt in den nächsten Jahren eine grosse Bedeutung zu, das zeigt die jetzige Weltlage. Die deutsche Philosophin Edith Stein sagte: «Der Kern aller Menschenbildung muss religiöse Bildung sein.»

Einsatz für Werte kostet etwas

Die spürbare Krise unserer Gesellschaft ist eine Sinn- und Wertekrise. Einmal vorhandene Werte stehen in Frage und der Einsatz dafür kostet etwas, nämlich unsere Auseinandersetzung, unser Nachdenken und Mitdenken, den Einsatz von Zeit, Verstand und Gefühl, das Bewusstsein dafür, dass eine Welt, die sich selbst und ihren eigenen Kräften überlassen wird, ihre Humanität verliert, ihr christliches und menschliches Gesicht. Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag lädt alle zur Besinnung ein: die Politik, die Wirtschaft, die Kirchen, die ganze Gesellschaft.

Unsere Empfehlungen

«Erkennt ihr’s denn nicht?»

Zu Worten des Propheten Jesaja hat die St. Galler Kirchenrätin Antje Ziegler das diesjährige Mandat für den Bettag am 19. September verfasst. Sie bedauert den totalen Verlust eines christlichen Wertes: der Wahrheit.