News aus dem Kanton St. Gallen

«Wir wollen wieder zurück!»

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01.01.2016
Christliche Minderheiten sind im Orient unter Druck: Ignatius Ephrem II., Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche, ist dennoch optimistisch, dass die Christen in ihren Herkunftsländern verwurzelt bleiben.

Ihre Familie ist während des Völkermords an Aramäern und Armeniern aus der Türkei geflohen. Hat Sie dies als Kind beschäftigt?

Die Vertreibung war täglich ein Gesprächsthema. Ich kann mich gut erinnern, wie die Älteren im Innenhof der Kirche gesessen sind und von den verlassenen Dörfern erzählten, von der Verfolgung und von den Massakrierten.

Die Aramäer bleiben als Opfer des Völkermords oft unerwähnt. Ein Ärgernis?
Die Verknüpfung des Völkermords mit den Armeniern folgt einer gewissen Logik. Mit 1,5 Millionen Toten sind die Armenier die Hauptbetroffenen. Bei den Aramäern geht man von 500 000 Toten aus. An das tragische Morden wollen wir 2015 vielerorts gemeinsam erinnern.

Die Türken wollen den Begriff Genozid nicht akzeptieren. Ein Skandal?
Die Türkei täte gut daran, ihre eigene Geschichte nicht zu verdrängen. Aber die Türken klammern sich an Ausflüchte, sehen das Morden als Folge eines Bürgerkriegs. Bis heute haben die Christen in der Türkei nicht die vollständige Freiheit bei der Religionsausübung.

Der Westen wagt es nur halbherzig, die Türkei als Nato-Partner an ihre historische Verantwortung zu erinnern. Auch im Irak haben sich die USA lange nicht um die orientalischen Christen gekümmert. Wenig christliche Solidarität also.

Wir wollen nicht, dass die westlichen Staaten kommen, um uns Christen zu beschützen. Aber in Wahrheit kümmert sich die westliche Politik weder um Muslime noch Christen, sondern ist vor allem im Nahen Osten an einem interessiert: dem ungehinderten Zugang zum Öl. Für mich stellt sich aber auch die Frage: Ist der Westen überhaupt noch christlich?

Gilt das auch für die USA, wo Sie lange als Geistlicher gewirkt haben?

Sicher gehen die Amerikaner mehr zur Kirche als die Europäer. Sie haben durchaus fromme Politiker. Je weiter man nach oben zum Kapitolhügel kommt, desto weniger spielt das Christliche eine Rolle.

Sie waren mit Religionsführern der orientalischen Christen vor Kurzem bei Präsident Obama. Hat er Ihnen kein Gehör geschenkt?
Oh doch! Obama ist ein aufmerksamer Zuhörer. Aber mehr auch nicht.

Welche Erwartungen haben Sie an den nicht mehr so christlichen Westen?
Ich bin drei Mal in die kurdische Region des Nordiraks gereist. 200 000 Flüchtlinge aus Mossul leben dort zusammengepfercht auf engstem Raum. Sie brauchen dringend Nothilfe. Auf lange Sicht hoffen wir, dass die Flüchtlinge in eine Schutzzone mit autonomer Selbstverwaltung zurückkehren können. Das ist schwierig, weil weder der irakische Staat noch die kurdische Autonomiebehörde stark genug sind, um die Menschen zu schützen. Die rückkehrenden Flüchtlinge müssten deshalb bewaffnete Selbstschutzkräfte aufstellen dürfen.

Also Waffen für Christen und Jesiden?
Ich bin kein Spezialist für Militärisches. Aber eines ist unumgänglich: Selbstverteidigung. Dann kehren die Menschen in ihre angestammte Heimat zurück.

Sie hoffen, dass es in Zukunft Christen im Nordirak geben wird?
Ich habe von so viel Flüchtlingen bei meinen Besuchen gehört: «Wir wollen wieder zurück!» Der Wille der Menschen ist ungebrochen, ihre alte Heimat nicht aufzugeben. 

Text: reformiert. Nr. 1.2, Zürich, Delf Bucher | Foto: wikimedia.org   – Kirchenbote SG, April 2015

 

 

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