Wie zwei Feinde Freunde wurden
Der Israeli Rami Elhanan ist 73 Jahre alt. 1997 tötete ein palästinensischer Selbstmordattentäter seine Tochter Smadar. Sie wurde 14 Jahre alt. Der Palästinenser Bassam Aramin ist 53 Jahre alt. 2007 erschoss ein israelischer Grenzwächter seine Tochter Abir. Sie wurde 10 Jahre alt. Ihre Väter traten vor kurzem gemeinsam in der Schweiz auf, um für Versöhnung und Frieden zu werben. Sie bezeichnen sich als Brüder und erzählten, wie es dazu kam, dass sie Freunde geworden sind.
Die Erinnerung wachhalten
Ihre Geschichte haben die beiden schon unzählige Male erzählt, doch sie erschüttert das Publikum immer wieder. Mit ihren Auftritten plädieren sie nicht nur für Versöhnung. Indem sie über das Schicksal ihrer Töchter sprechen, erhalten sie das Andenken an die Mädchen am Leben.
Kriegsheld und Terrorist?
Nichts in ihren Biografien deutete daraufhin, dass der Israeli und der Palästinenser jemals Freunde würden. Im Gegenteil: Rami Elhanan kämpfte 1973 im Jom-Kippur-Krieg an der Front gegen Ägypten und Syrien. Bassam Aramin demonstrierte für die Freiheit der Palästinenser. Mit 16 wanderte er für sieben Jahre ins Gefängnis, weil er Handgranaten auf ein israelisches Militärfahrzeug warf.
Sich als Menschen begegnen
Rami Elhanan beschreibt all die Gefühle, die aufkamen, nachdem er seine tote Tochter gesehen hatte: Rache, Hass, Ohnmacht. Er war verzweifelt. Da traf er einen Vater, dessen Sohn von der Hamas entführt und ermordet worden war. Dieser überredete ihn dazu, ihn zu einer Versammlung des Parents Circle-Families Forum zu begleiten. Die Organisation führt israelische und palästinensische Eltern zusammen, die im Nahostkonflikt ihre Kinder verloren haben. Widerwillig und zynisch sei er dorthin gegangen, berichtet Rami Elhanan – und habe etwas komplett Neues erlebt: «Palästinenser, die mir die Hand schüttelten und mit mir trauerten und litten. Ich war 47 Jahre alt und begegnete zum ersten Mal Palästinensern als Menschen, nicht als Terroristen.» Seither widme er sein Leben der Friedensarbeit.
Der Beginn der Freundschaft
«Wenn man nur hasst, tötet man sich selbst», sagt Bassam Aramin. Als Jugendlicher im Gefängnis sah er einen Film über den Holocaust. «Ich war total überwältigt, ich hatte immer gedacht, die Konzentrationslager seien eine Lüge. Nun wollte ich mehr darüber wissen.» Im Jahr 2002 hörte er von jüdischen Wehrdienstverweigerern und besuchte ein Treffen ihrer Bewegung «Combatants for Peace», die Rami Elhanans Sohn mitbegründete. Dort traf er Rami. Es war der Beginn ihrer Freundschaft.
Den Schmerz teilen
Rami erlebte mit, wie Bassams Tochter starb. «Es war, wie wenn Smadar ein zweites Mal stirbt», erinnert er sich. Nun teilten Bassam und Rami dieses Schicksal. Der Tod ihrer Töchter brachte sie noch näher zusammen. «Kinder zu ermorden, kann niemand rechtfertigen», sagt Bassam Aramin. Er schloss sich ebenfalls dem Parents Circle-Families Forum an. Und als er den Mann traf, der Abir tötete, sagte er zu ihm: «Du bist kein Held.»
Gemeinsam gegen die Besatzung
In der israelischen Besatzung fanden Rami Elhanan und Bassam Aramin ihren gemeinsamen Gegner. «Bassam und ich zahlten den höchsten Preis, wir verloren wegen der israelischen Besatzung unsere Kinder», sagt Rami Elhanan. «Die Gewaltspirale können wir nur stoppen, wenn wir einander zuhören und miteinander reden. Mit der Kraft des Schmerzes können wir Mauern niederreissen», ist der Israeli überzeugt. «Der Weg ist lang und steinig, aber es ist die einzige Möglichkeit.»
Karin Müller, kirchenbote-online
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