News aus dem Kanton St. Gallen

Weshalb es das Christkind und den Weihnachtsmann braucht

von Barbara Damaschke Bösch, Pfarrerin in Berneck
min
30.09.2023
Mit Schenken ist oft eine Erwartung verbunden: Man will, Beziehungen pflegen, seinen Reichtum zur Schau stellen oder erhofft sich eine Gefälligkeit. Um dem Kreislauf von Geschenk und Gegengeschenk zu entgehen, kommen Dritte ins Spiel: der Weihnachtsmann, das Christkind. Denn auch selbst gemachte Geschenke sind nicht nur «sälber gmacht».

Anna schneidet vorsichtig das glitzernde Papier zurecht und packt liebevoll die Geschenke ein. Sie nutzt die Zeit an diesem Adventsabend, um letzte Vorbereitungen für Weihnachten vorzunehmen. Anna mag das Geheimnisvolle dieser Zeit. Dann brüht sie Tee auf, schenkt sich eine Tasse ein und setzt sich hin. Ihre Gedanken wandern, und als ihr Blick auf die vielen Päckli fällt, fragt sie sich, weshalb Geschenke an Weihnachten eine solch grosse Rolle spielen. Liegt das nur an den Weisen, die Jesus als Gastgeschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe gebracht haben? In diese Gedanken hinein hört sie, wie der Radiosprecher ein Referat zum Thema «Geschenke in der Bibel» ankündigt. Anna stellt lauter und hört zu:

«Geschenke haben eine lange Tradition. Auch in der Bibel wird oft von Geschenken und Gaben erzählt. In der hebräischen und der griechischen Sprache gibt es eine Vielfalt an Wörtern für das, was wir ‹Gabe› oder ‹Geschenk› nennen. Besonders an Festtagen machen Menschen sich Geschenke. Im Buch Esther etwa wird im Zusammenhang mit dem glücklichen Ende der Geschichte dazu aufgefordert, beim jährlichen Gedenken einander Speisen zu überreichen und den Armen Geschenke zu machen. Grosse Dankbarkeit kann in uneigennützigen Geschenken ihren Ausdruck finden.

An der Grenze zur Korruption

Menschen schenken aber auch in der Bibel nicht immer absichtslos. Der Übergang zu Bestechung, die abgelehnt wird, ist fliessend. Jakob erhofft sich beispielsweise, mit Geschenken seinen betrogenen Bruder Esau sowie seinen nicht erkannten Sohn Josef in Ägypten gnädig zu stimmen.

Mancherorts bringen daher heute Dritte wie das Christkind oder der Weihnachtsmann die Gaben, um beschenkte Kinder vom Druck der Gegengeschenke zu entlasten.

Schenken ist eine soziale Handlung, die der Pflege von Beziehungen dient. Das Buch der Sprüche hält dazu fest: ‹Wer Geschenke verteilt, hat jeden zum Freund.› Nichts zu schenken kann deshalb auch ein Zeichen der Verachtung sein, wie nach der Wahl Sauls zum König Israels, als ihm einige Untertanen die Geschenke verwehren. Und als Gott das Geschenk – das Opfer – Kains nicht annimmt, empfindet das dieser als Ablehnung und ist gekränkt.

Protzen mit teuren geschenken

Geschenke dienen auch der Zurschaustellung eigenen Reichtums. Als die Königin von Saba mit teuren Gaben König Salomo ihre Aufwartung macht, gibt er ihr noch grosszügigere Geschenke mit auf den Heimweg. Ein Gegengeschenk wird im Sinne eines Tauschhandels häufig als angemessen erachtet oder gar erwartet. Mancherorts bringen daher heute Dritte wie das Christkind oder der Weihnachtsmann die Gaben, um beschenkte Kinder vom Druck der Gegengeschenke zu entlasten.

In der Bibel werden solche Erwartungen kritisiert. Vorhandene Ungleichheiten sollen nicht verfestigt werden. So schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom: ‹Wer andern etwas gibt, tue es ohne Hintergedanken; wer Barmherzigkeit übt, tue es heiter und fröhlich.› Und in der Bergpredigt sagt Jesus: ‹Wenn du aber Almosen gibst, lass deine Linke nicht wissen, was die Rechte tut.›

Wenn Kinder eine Gabe Gottes sind, stellt sich die Frage, weshalb manche Menschen ungewollt kinderlos bleiben und nicht von Gott beschenkt werden.

All unser Schenken ist letztlich ein Weitergeben dessen, was wir von Gott bekommen haben. ‹Und wenn irgendein Mensch bei all seiner Mühe isst und trinkt und Gutes geniesst, ist auch dies ein Geschenk Gottes.› (Pred 3,13) Alle unsere Gaben und Begabungen sind Geschenk und nicht ‹sälber gmacht›. Insbesondere Kinder werden als Gabe Gottes verstanden. Aus diesem Gedanken erwächst jedoch die Frage, weshalb manche Menschen ungewollt kinderlos bleiben und sich enttäuscht als nicht von Gott beschenkt erleben müssen. Schmerzlich zeigt sich, dass wir in einer unvollkommenen Welt leben, in der die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes unbeantwortet bleibt.

Frei von Geiz und Gewalt

Und doch ist uns im Leiden auch Hoffnung gegeben: durch Jesus Christus. Er kam zur Welt und erwirkte die Gnade Gottes sowie ewiges Leben. An Weihnachten, dem Fest der Geschenke, feiern wir demnach die geschenkte Gegenwart Gottes und den Glauben daran, dass eine Welt des wechselseitigen Gebens und Annehmens – frei von Geiz und Gewalt – möglich ist.»

Der Moderator leitet zu weihnachtlicher Musik über und Anna steht auf, um die Päckli zu verstecken. Dabei zaubert ihr der Gedanke, dass das Auspacken von Geschenken an Weihnachten vielleicht ein Vorgeschmack auf die unermessliche Freude am Offenbarwerden des göttlichen Geheimnisses sein könnte, ein Lächeln ins Gesicht.

Getrübte Weihnachtsfreude im Heiligen Land

Der Terrorangriff der Hamas und der Krieg im Gazastreifen werfen einen langen Schatten auf die Weihnachtsfeierlichkeiten im Heiligen Land. So sagte die Evangelische Erlöserkirche in Jerusalem alle Feierlichkeiten zum geplanten 125-Jahre-Jubiläum ihres Bestehens ab. «Die grosse rote Geburtstagsschleife für den Kirchturm war schon geordert», schreibt Probst Joachim Lenz, Pfarrer der Erlöserkirche, in einer Mitteilung. Die Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober und der dann ausbrechende Gazakrieg hätten alle Planungen zunichte gemacht.

Die Erlöserkirche in Jerusalem. Bis auf weiteres bleibt sie aus Sicherheitsgründen geschlossen. Foto: wikimedia

Arabisch- und deutschsprachig

Die Erlöserkirche hat Zweigstellen im Westjordanland und in Jordanien und beherbergt die arabisch- und die deutschsprachige Gemeinde. «Gemeinsam feiern wir internationale Gottesdienste in arabischer, englischer und deutscher Sprache», schreibt Lenz. Die Gemeinde werde von einem Kern von weniger als hundert Personen getragen, habe aber eine Ausstrahlung, die weit über darüber hinausgehe. Nach der Christmette an Heiligabend gebe es jeweils vor der Kirche Glühwein. «Dann gehen immer über 200 Menschen durch die Heilige Nacht nach Bethlehem und haben dort gegen 3 Uhr morgens eine Andacht in der Geburtskirche.» Was dieses Jahr an Weihnachtsfeierlichkeiten überhaupt möglich ist, bleibt offen. Bethlehem liegt rund fünf Kilometer von Jerusalem entfernt im Westjordanland. Bis auf Weiteres bleibt die Erlöserkirche wegen der angespannten Sicherheitslage ausserhalb der Gottesdienstzeiten laut ihrer Website geschlossen.

Hass und Hoffnungslosigkeit

«Es gibt gegenwärtig ungeheuer viel Elend, Verbitterung, Hass und Hoffnungslosigkeit im Heiligen Land», schreibt Pfarrer Lenz. «Wir sind den palästinensischen Kirchen ebenso verbunden wie dem Judentum und dem Existenzrecht Israels.» Das sei oft schwierig. «In diesen Tagen klagen und beten wir für Israelis und Palästinenser, für jüdische und christliche und muslimische Menschen gleichermassen.» Auf seinem Amtskreuz sei ein Vers aus Psalm 122 eingraviert: «Wünschet Jerusalem Frieden.» (sd)

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