News aus dem Kanton St. Gallen

Wer war Jan Hus?

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01.01.2016
Am 6. Juli 2015 war es genau 600 Jahre her, seit der tschechische Theologe und Priester Johannes Hus vor den Toren der Stadt Konstanz hingerichtet wurde. Es war ein schreckliches und erschütterndes Ereignis. Die Väter des Konzils, das 1414 – 1418 in Konstanz tagte und dessen Aufgabe es gewesen wäre, die Kirche zu reformieren, sprachen das Todesurteil über Hus. Dieser war in ihren Augen ein gefährlicher «Ketzer».

In einer demütigenden Zeremonie wurde er seiner priesterlichen Gewänder entkleidet. Seine Tonsur wurde zerstört. Eine hohe Mütze wurde ihm aufgesetzt, auf der drei Teufel abgebildet waren. Und dann wurde er bei lebendigem Leib verbrannt. Seine sterblichen Überreste wurden anschliessend in den Rhein geworfen.

Hus’ letztes Gebet
Kurz vor seiner Hinrichtung betete Hus: «O du allergnädigster Herr Jesus Christus! Ziehe uns Schwache zu dir; denn wo du uns nicht ziehen wirst, so können wir nicht folgen. Gib uns einen starken Geist, der da willig sei, obgleich das Fleisch schwach ist […]. Denn ohne dich vermögen wir nichts zu tun, am allerwenigsten, um deinetwillen in den Tod zu gehen. Gib uns einen willigen Geist, ein unerschrockenes Herz im rechten Glauben, eine feste Hoffnung, dass wir um deinetwillen auf das Geduldigste und mit Freuden unser Leben von uns legen. Amen.» Seine allerletzten Worte waren: «Ich rufe Gott zum Zeugen an, dass ich das, was falsche Zeugen gegen mich behaupteten, weder gelehrt noch gepredigt habe! Ich wollte die Menschen von ihren Sünden abbringen! Was immer ich sagte und schrieb, war stets für die Wahrheit!»

Scharfe Kirchenkritik
Hus war um 1370 im heutigen Tschechien geboren worden. Der Hochbegabte machte eine steile Karriere an der Universität Prag. Hier lehrte er Philosophie und Theologie und war in den Jahren 1409–1410 Rektor. An der Kapelle der unschuldigen Kinder von Bethlehem (ebenfalls in Prag) hielt er ab 1402 um die 3000 Predigten.

Vor allem seine ätzende Kirchenkritik erregte grosses Aufsehen. «Unsere heutigen Bischöfe und Priester […] können leider kaum das Ende des Gottesdienstes abwarten und eilen aus der Kirche, die einen in die Wirtshäuser, die andern hin und her, um sich auf eine der Priester unwürdige Weise zu unterhalten. Ja sogar um zu tanzen! So sind diejenigen, welche in der Nachfolge Christi die ersten sein sollten, die grössten Feinde unseres Herrn Jesus Christus.» «Unsere Päpste und Petri Nachfolger haben sich zu Henkern und Scharfrichtern ausgebildet, einen treuen Christen heissen sie einen Ketzer und verbrennen ihn.» «Die Letzten – das sind die Niedrigsten und Verachtetsten der Welt! – werden die Ersten sein, und die jetzt in der Welt die Höchsten oder Ersten sind – aber Gott in der Einfalt des Herzens nicht dienen! – werden die Letzten sein. Der geringste Bauer wird dem Kaiser und König vorausgehen.» Hus forderte eine arme Kirche ohne Hierarchie.

«Hus forderte eine arme Kirche ohne Hierarchie.»

Zur Begründung seiner Thesen berief er sich auf die Bibel. Diese, sagte er, sei «ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit». Sie sei der «Spiegel» und halte uns vor, wie unser ganzes Leben gestaltet werden müsse. Alle religiöse Wahrheit sei in ihr enthalten. Die Bibel sei «eine lebendige Sache» und «ein Buch des Lebens». 

Viele seiner Gedanken hatte Hus von John Wyclif (1330–1384, Theologieprofessor in Oxford) übernommen, der als einer der ersten die Bibel ins Englische übersetzte und ebenfalls als flammender Kirchenkritiker hervortrat. Den «Antichrist», von dem die Bibel spricht (fünfmal in den Johannesbriefen), fand Wyclif im damaligen Papsttum.

Beschützt und ausgeliefert
In den ersten Jahren seines Wirkens genoss Hus, der bei der Bevölkerung sehr beliebt war, den Schutz der königlichen Familie, wogegen er auf Antrag des Erzbischofs von Prag exkommuniziert und seiner Ämter enthoben wurde. Der nachmalige Kaiser Sigismund (damals bereits König) sicherte Hus freies Geleit zu und hoffte, dass auf dem Konzil in Konstanz der für das ganze Reich gefährliche Konflikt geschlichtet werden könne. Aber es kam anders heraus.
Hus wurde nach seiner Ankunft in der Stadt am Bodensee unverzüglich verhaftet und in ein menschenunwürdiges Gefängnis geworfen (der König traf erst später ein) – bis zur am Anfang geschilderten Verurteilung und Verbrennung.

Aus heutiger Sicht kam Hus zu früh. (Vielleicht darf man auch anmerken, dass seine an und für sich berechtigte Kirchenkritik zu undifferenziert und zu lieblos war.) Erst gut hundert Jahre später kam es zur Reformation in Deutschland. Martin Luther berief sich auf Hus, an dessen Beispiel er zeigte, dass nicht nur Päpste, sondern auch Konzile sich irren können und nicht «unfehlbar» sind.

Einfluss auf die St.Galler Kirche

In Tschechien selbst wurde das Erbe von Johannes Hus vor allem von den Böhmischen bzw. Mährischen Brüdern gepflegt (auf die unter anderem auch die Herrnhuter Brüderge­meine zurückzuführen ist). Für die St.Galler Kirchengeschichte ist bemerkenswert, dass die reformierte St.Galler Kirche in den 1520er-Jahren ein Religionslehrmittel drucken liess, das im Wesentlichen nach dem Vorbild eines Katechismus der Böhmischen Brüder gestaltet wurde. Im evangelischen St.Galler Kirchengesangbuch von 1533 (der ersten derartigen Publikation der Schweiz!) stammt ebenfalls rund ein Drittel der darin aufgenommenen Lieder von den Böhmischen Brüdern. 

Text: Frank Jehle, St.Gallen | Bild: Konstanzer Konzilchronik von Ulrich Richental, um 1430 – Kirchenbote SG, Juni / Juli 2015

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