Wer andern eine Blume sät, blüht selber auf
«Sorgende Gemeinschaft», oder neudeutsch «caring community», heisst, wir sorgen uns umeinander und tragen einander Sorge. Klaus Wegleitner sagt es so: Eine Kultur der Für-Sorge entsteht, «wo Menschen leben, lieben, arbeiten, alt werden, versorgen, sterben, trauern und sich umeinander kümmern». Dies passiert in der Familie, in der Nachbarschaft, in Glaubensgemeinschaften, Freundeskreisen, Vereinen oder einfach gesagt überall dort, wo sich Menschen begegnen und bereit sind, aufeinander zu achten.
Im ersten Lockdown vor zwei Jahren sind auf einmal ganz neue Caring Communities entstanden: Enkel, die für ihre Grosseltern einkaufen gingen, weil diese zu Hause bleiben sollten, Angestellte in Kurzarbeit, die sich bei Lebensmittelhilfen und Mahlzeitendiensten engagierten, «Sonntagsproviante» per E-Mail, weil keine Gottesdienste mehr stattfanden.
Auch in diesem Frühling, nach den schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine, entstanden spontan sorgende Gemeinschaften, Menschen, die ihr Haus öffneten, um Kriegsflüchtlinge aufzunehmen oder die Transporte von Hilfsgütern an die Grenzen von Polen, Moldawien und Rumänien organisierten oder gleich selber durchführten.
Ohne Gemeinschaft, ohne Sorge füreinander gibt es keine funktionierende Gesellschaft.
Um zu überleben braucht der Mensch vor allem Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf. Aber um wirklich leben zu können, brauchen Menschen Gemeinschaft. Als Kirche und als Gottes Mitarbeitende sind wir sein Ackerfeld und kennen die Wichtigkeit von Begegnungen, vom Wissen voneinander. Wir sind auf dem Weg von einer Angebotskirche zu einer zuhörenden, fragenden Kirche, zu einem gelebten Miteinander, zu einer Kirche, die sich an den Bedürfnissen der Mitglieder orientiert und entsprechend handelt.
Die Lebensumstände von vielen von uns haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert: Traditionelle Familienstrukturen brechen auf, die Erwerbstätigkeit verteilt sich unter Eltern neu, Kinder wohnen weit weg von den Eltern, die Arbeitswege werden länger, es gibt immer mehr Einpersonenhaushalte, mehr Alleinerziehende, mehr Menschen, die ihr Heimatland verlassen haben, mehr ältere und alte Menschen. Ohne Gemeinschaft, ohne die Sorge füreinander gibt es keine funktionierende Gesellschaft.
Am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag erinnern wir uns daran, dass es uns alle braucht, um eine gute Caring Community oder sorgende Gemeinschaft in unserer Gesellschaft zu sein. Wir erinnern uns daran, dass es wichtig ist, sich zu kümmern und einander Sorge zu tragen. So entsteht Gottes guter Bau.
Text: Kirchenrätin Annina Policante-Schön, St. Gallen | Foto: Pixabay – Kirchenbote SG, September 2022
Wer andern eine Blume sät, blüht selber auf