News aus dem Kanton St. Gallen

«Weltkulturerbe» Buddhismus

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01.01.2016
Anders als der Islam findet der Buddhismus heute eher Sympathie. Seine Lehren und Anregungen zur Meditation werden auch im christlichen Kontext aufgenommen, der Buddhismus fasziniert. Warum? Was hat er uns zu sagen? Oder kann er auch ablenken von den Aufgaben des Lebens? Der Kirchenbote sprach darüber mit dem Georg Schmid.

Kibo: Herr Schmid, Sie haben sich eingehend mit dem Buddhismus beschäftigt, haben an der Universität Zürich auch darüber gelehrt. Hat sie Buddhas Lehre auch persönlich berührt?  

Georg Schmid: Mich faszinierte vor allem die Gestalt und die Philosophie Gautamas, des Buddhas. Buddha war ein «Zu-Ende-Denker», ein Mensch, der seine Erkenntnisse nicht auf halbem Weg abbrach, der sie radikal in seinem Leben umsetzte. Nur sehr wenige andere Gestalten waren ihren eigenen Erkenntnissen so radikal mit ihrem ganzen Leben verpflichtet wie er. Ich denke vor allem an Jesus von Nazareth und an Sokrates. Zu-Ende-Denker faszinieren mich. Ich würde zu gerne in meinem Leben auch nicht auf halbem Weg stehen bleiben.

Was haben sie beim Buddha für ihr geistliches Leben gelernt?

Ich hab es noch nicht gelernt, aber ich spüre, dass ich dauernd daran arbeiten muss: Gelassenheit. Der Buddha ist der Philosoph der radikalen Vergänglichkeit. Nichts hat ewiges Sein in sich. Alles kommt und geht. Etwas festklammern wollen, ist Unsinn und macht bloss unglücklich. Etwas haben wollen, etwas sein wollen, etwas darstellen wollen – all diese Wünsche sind so unsinnig und stecken gleichzeitig doch so tief in mir (wie wahrscheinlich in den meisten Menschen), dass ich diesen tiefverwurzelten, tragischen Unsinn fast nie loswerde. Zwei Gestalten könnten mir helfen – je auf sehr unterschiedliche Weise – aus dieser Tragödie auszusteigen: Buddha und Jesus. Die Ausstiegshilfe des Buddha heisst: Achtsamkeitsmeditation («Vipassana» oder «Satipatthana»). Das versuchte ich – ansatzweise – zu praktizieren.

Nirvana und/oder Reich Gottes

Sie nennen zwei Gestalten, die ihnen auf ihrem geistlichen Weg helfen: Buddha und Jesus.Wie hilft ihnen Jesus, die jüdische Messiasgestalt?
Jesus, wie er mir in den Evangelien begegnet, öffnet mir die Tür zu einer einzigartigen Erfahrung: Gott bei uns Menschen. Der Unvorstellbare, das Unbedingte, das Absolute, der Ewige und deshalb zumeist auch der unendliche Ferne und Abstrakte, das Geheimnis hinter allen Dingen und Wesen, wird Gegenwart, wird Augenblick, lebt und wirkt mitten unter uns und in uns. Diese Erfahrung, auch wenn sie mich nur wie ein Federstrich berührt, verändert
meine Welt. Auch Buddha, wenn ich mich praktisch auf seinen Meditationsweg begebe, öffnet mir einen Spalt weit die Tür zu einer neuen Erfahrung: Anatta, nennt sie der Buddha, Nicht-Ich, Nicht-Selbst. Alles ist wie ein Strom. Nichts bleibt sich gleich. Auch in dem, was ich mein Ich oder meine Person oder meine Seele nenne, findet sich kein ewiger Kern. Buddha führt mich zuletzt in radikale innere Leere.

Leere und Gott mitten unter uns? Ist nicht das eine das Gegenteil vom Andern?
So dachte ich früher auch. Aber inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wenn ich mich meditativ in Richtung «Nicht-Ich» bewege, gewinne ich Raum für Gott. Vielleicht erlebe ich Gott, den Ewigen, hier und heute bei mir überhaupt erst wirklich, wenn ich nichts mehr festhalten will, wenn mir alles Vergängliche – inklusive mein eigenes Ich – mir dorthin entgleitet, wo es hingehört: In den Strom der radikalen Vergänglichkeit. Ich muss alles ausräumen, sogar mein eigenes Ich, bevor er einziehen kann.
Im Christentum geht es nicht nur um meine Befreiung von allem Vergänglichen. Uns ist das Reich Gottes verheissen. Und der Heilige Geist schenkt Einsicht und Kraft, um auch das soziale Leben zu gestalten. Wir werden als Individuen in einen heiligen Dienst an der Welt gerufen.


Ist das nicht eine ganz andere Kraft als jene, die der buddhistische Weg eröffnet?
Der Buddhismus ist schon seit langem in sich sehr vielfältig und wird immer noch vielfältiger. Für die meisten Schulen (oder «Fahrzeuge») gilt: das letzte Ziel ist die weltlose Erlösung aller Wesen, also das Nirvana. Nirvana ist nach alter Definition «das Ende von Gier, Hass und Verblendung», also ein letztes befreiendes Erlöschen. Der Buddhismus erhofft sich also nicht wie das Christentum einen neuen Himmel und eine neue Erde. Er interessiert sich auch nicht für einen Schöpfergott. Konsequenterweise ist auch eine neue Schöpfung kein Thema.

So kümmert sich der Buddhismus auch weniger um das soziale Miteinander der Menschen?

Das kann man so nicht sagen, denn unterwegs zu diesem letzten, befreienden Nichts verhält sich der Buddhismus keineswegs asozial, völlig desinteressiert an seiner Umgebung. Im Theravada, im alten südlichen Buddhismus (Sri Lanka, Burma, Thailand, Cambodja), üben die frommen Laien Metta, Gütestrahlung, Wohlwollen gegenüber allen Wesen in ihrer Umgebung. Im Mahayana, im grossen Fahrzeug (China, Indien, Japan, Tibet) wird der Bodhisattva zum Ideal. Der Bodhisattva ist ein geistig weit fortgeschrittenes Wesen, das auf seinen Eintritt ins Nirvana verzichtet, solange es noch leidende Wesen in dieser Welt gibt. Die Bodhisattvas erscheinen in immer neuen Inkarnationen, um allen zu helfen, die grosse Befreiung zu finden.

«Der Buddhismus erhofft sich also nicht wie das Christentum einen neuen Himmel und eine neue Erde.»


Der Dalai Lama ist nur ein Bodhisattva unter vielen. Neben der Gütestrahlung des Theravada und den Bodhisattvas des Mahayana gibt es heute noch den bewusst sozial und politisch engagierten Buddhismus, vielleicht auch ein wenig inspiriert durch Christentum und/oder Marxismus. Also – wir können nicht behaupten, die Welt gehe den Buddhisten nichts an.

Zen: «Diese Welt ist Nirvana»


Ein besonderes Verhälntnis zur Natur hat sich im Zen-Buddhismus entwickelt. Wie kam das?
Zwei grosse und eindrückliche meditative Erkenntnisse haben den alten Buddhismus, heute Theravada, Schule der Alten, genannt, in Zenbuddhismus verwandelt: Zuerst ist im Buddhismus Südindiens vor ca 2000 Jahren (Indien war damals noch weitgehend buddhistisch) die Erkenntnis aufgebrochen, dass das Nirvana, das so sehnlichst angestrebte Ziel, gar kein fernes Etwas oder Nichts ist. «Diese Welt (Samsara) ist Nirvana», heisst die grosse Entdeckung des frühen Mahayana. Als dieser Mahayana-Buddhismus nach China und von dort aus nach Japan kam, erlebten die Meister und Schüler dieses nun in allem verborgene Nirvana zusätzlich noch grenzenlos konkret – Konkretion ist eine besondere Fähigkeit des chinesischen und des japanischen Geistes. Im allgemeinen sprach man nun vom angestrebten Ziel als Buddhanatur.

Wie erlebt man die Buddhanatur?

Diese Buddhanatur in uns und in allen Dingen erleben wir, wenn wir unser normales Denken ausschalten können und intuitiv eins werden mit dem, was wir gerade betrachten oder tun. Ein Schüler fragte seinen Zenmeister: Wie kann ich den Weg zur Erleuchtung finden? Der Meister antwortet: Kannst du das Rauschen eines Bergbaches hören? Natürlich darf der Schüler nun nicht meinen: Wenn ich ein Bisschen neben einen Bergbach sitze, bin ich alsbald erleuchtet. Nein, Zen verlang Ausdauer. Unser verkopfter Geist gibt das Denken im Ojekt-Subjekt-Schema nicht so leicht auf. Der Schüler muss seine Bergbachmeditation so lange und so intensiv betreiben, bis er gedankenlos eins wird mit dem Rauschen dieses Baches.

Vielleicht haben auch unsere LeserInnen schon erlebt, wie befreiend und beglückend es ist, die Objekt-Subjekt-Welt für Momente zu verlassen und in einer Tätigkeit total aufzugehen.
Zen-Meister und Zen-Schüler können überall solche Einheitserfahrungen machen, vorausgesetzt, ihr Geist ist dazu reif: beim Blumenstekken, beim Teetrinken, beim Bogenschiessen, im Kampf, im Föhrenwald am Bach, beim Beobachten eines Frosches, der in einen Teich springt usw. Als ausgeprägte Kopfmenschen merken wir Westler, dass unsere Beziehung zur Welt um uns oft durch unsere Kopflastigkeit sehr eingeschränkt ist. Zen kann uns helfen, uns und die Welt um uns herum noch anders, noch intuitiver wahrzunehmen. 

 

Interview und Foto: as   Kirchenbote SG, Juli/August 2015

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