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Warum das Schöne nicht im Bild darstellen?

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03.07.2017
Ein ausdrückliches Bilderverbot kennt der Koran nicht. Ob und was man öffentlich darstellen darf, entscheidet in der islamischen Welt die jeweilige Gemeinschaft.

Die Götterwelt der Hindus ist stärker bevölkert und bunter als das monotheistische Himmelreich. Neben Gottheiten, die dem Menschen nachgebildet sind, tummeln sich dort skurrile Mischwesen, halb Mensch und halb Tier, wie der Elefantengott Ganesha oder der affenköpfige Hanuman. Und sie sind omnipräsent. In den hinduistischen Ländern stösst man allenthalben auf ihre Konterfeis.

Monotheistische Religionen, vor allem Judentum und Islam, tun sich mit der bildhaften Darstellung des Göttlichen hingegen schwer. Denn vom Allmächtigen kann und darf es überhaupt kein Kultbild geben, da er das verboten und niemand ihn gesehen hat. 

Abgrenzung gegen das bilderfreundliche Ostrom?

So sorgfältig man den Koran durchforstet: Von einem ausdrücklichen Verbot, auf dem Fundamentalisten so kompromisslos beharren, ist nirgends die Rede. Der deutsche Orientalist Rudi Paret meint, dass ein Bilderverbot erst in späteren Zeiten in der Hadith-Literatur – sie gibt Äusserungen des Propheten wieder – und im Fiqh, wie die theologische Diskussion über das sakrale Recht genannt wird, zum Thema wird. Es ist gut denkbar, dass man sich damit von den sehr bilderfreundlichen Byzantinern abgrenzen wollte.

So überliefert der Hadith-Gelehrte al Buchari über einen Gewährsmann folgenden Ausspruch Mohammeds: «Ich habe den Gesandten Gottes sagen hören: Die Engel betreten kein Haus oder Zimmer, in denen sich ein Hund oder eine bildliche Darstellung befindet.» Vielleicht hatte der Religionsstifter Bedenken, dass der Mensch durch die Darstellung lebender Wesen den Allmächtigen nachzuahmen versuche. Nach seinem Einzug in Mekka 630 hatte der Prophet vermutlich deshalb das zentrale Heiligtum Kaaba von Götzenbildern säubern lassen. 

Das Schöne bildhaft darstellen

Weil das Heilige Buch der Moslems nicht bebildert werden durfte, blieben als künstlerisches Gestaltungsmittel nur die Kalligraphie und die Ornamentik, die im Laufe der Zeit verfeinert wurden. Gegen weltliche Darstellungen, die nicht in einem kultischen Kontext standen, «gab es jedoch keine Bedenken», bekräftigt Reinhard Schulze, Professor für Islamwissenschaften und neuere orientalische Philologie an der Universität Bern. Beispiele gibt es genügend. 

Der Löwenbrunnen in der andalusischen Residenz Alhambra zeigt durch die Tierskulpturen klar und deutlich, woher er seinen Namen hat.

Bild des Propheten

Im osmanischen Reich und während der persisch geprägten Moguln-Periode auf dem indischen Subkontinent nahm man nicht den geringsten Anstoss an bildlichen Darstellungen. So verewigten Maler auf Miniatur- und Buchmalereien Menschen, Tiere, Pflanzen oder Landschaften. Wer den Propheten liebt, den erfreut auch sein Porträt: An Darstellungen Mohammeds und seiner Mutter Amina, bisweilen mit verschleiertem Antlitz, herrschte damals kein Mangel.

Und warum auch nicht? « Ein schönes Buch darf doch auch schöne Bilder haben», meint Reinhard Schulze. Nur in der puristischen wahabitischen Tradition des saudiarabischen Königreichs, in dem es erst seit Anfang der 1970er-Jahre Fernsehen gibt, wurde der Bildergebrauch schon im 18.Jahrhundert aus dem öffentlichen Leben verbannt. 

Ein jeder entscheidet für sich selbst

Wie mit Bildern umzugehen ist, dafür gibt es in der islamischen Welt keine verbindlichen Vorschriften. «Es fehlt eine zentrale Lehrinstanz wie der Papst im Katholizismus. Deshalb trifft die jeweilige Gemeinschaft ihre eigene Entscheidung», sagt Schulze. Wie diese ausfällt, hängt nicht zuletzt von der Glaubensrichtung ab – sunnitisch oder schiitisch. 

Im schiitischen Iran gehört die bildliche Darstellung des Propheten zu den normalsten Dingen der Welt. Das bekannteste Portrait geht auf eine Fotografie aus dem Jahr 1905 zurück. Sie entstand in Tunesien und zeigt einen jungen Araber, dessen handkolorierte Aufnahme seit den 1990er-Jahren im Iran als Bildnis des Teenagers Mohammed auf Postkarten und Postern reissenden Absatz findet. 

Buchtipp: Reinhard Schulze: Geschichte der Islamischen Welt. Von 1900 bis zur Gegenwart, 767 Seiten mit 7 Karten, gebunden. Verlag C.H. Beck, 2016. 48 Franken.

 

Text: Thomas Veser, St.Gallen, Pressebüro Seegrund | Bilder: Indische Miniatur, 17.Jh., / Persische Buchmalerei, 9.Jh. – Kirchenbote SG, Juli-August 2017

 

 

 

 

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