Vom Rand in die Mitte holen
«Eigentlich ist doch der Rand immer der interessanteste Teil eines Elements», sagt Cyrill Bischof. Als Präsident der Peregrina-Stiftung, die im Kanton Thurgau die Asylunterkünfte unterhält, hat er regelmässig mit Menschen «am Rand» zu tun. «Leider definiert die Gesellschaft, was randständig ist», sagt der 61-Jährige, der auch Präsident des katholischen Kirchenrats im Thurgau ist. Menschen mit spezifischen Herausforderungen – und dazu zählten eben auch Flüchtlinge – liefen Gefahr, sich persönlich mit der Randständigkeit zu identifizieren. Das verringere die gewinnbringende Diversität zwischen dem ‹grossen Durchschnitt› und der Spezifität.
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Eigenheiten erläutern
Gerda Schärer, evangelische Kirchenrätin und Vizepräsidentin der Peregrina-Stiftung, zieht beim Begriff Randständigkeit den Vergleich zur Weihnachtsgeschichte: «Die Menschen, die bei der Volkszählung damals über die finanziellen Mittel verfügten, fanden eine Herberge. Andere mussten selber sehen, wie sie sich durchschlugen. Die Hirten galten als sozial randständig.» Das Team der Peregrina- Stiftung engagiere sich dafür, die Asylsuchenden näher an die gesellschaftliche Mitte zu bringen. Dafür sei es wichtig, ihnen von Beginn an die hiesigen Strukturen und Eigenheiten zu erläutern. «Gleichzeitig soll man ihnen einen Anreiz geben, eine Ausbildung zu machen oder sich weiterzubilden», ist Schärer überzeugt. In der Praxis erwiesen sich insbesondere die sprachlichen Barrieren und die unterschiedlichen Kulturverständnisse als Herausforderungen. Cyrill Bischof stellt fest, dass sich Berührungsängste am besten durch persönliche Begegnungen abbauen lassen. «Hier sind sämtliche Begegnungsorte, die durch kirchliche oder andere Organisationen initiiert worden sind, von grosser Wichtigkeit.»
«Shitstorm» begegnen
Bischof bezeichnet es als Spagat, den die Peregrina- Stiftung in der Flüchtlingsarbeit vollzieht: der Spagat zwischen der eher kritischen Haltung der Gesellschaft gegenüber den Flüchtlingen und dem christlichen Gebot, ihnen gastfreundlich und mit Menschlichkeit zu begegnen. Gerade in den letzten Wochen sei ein regelrechter «Shitstorm» – also ein Sturm der Entrüstung – über die Flüchtlingsarbeit im Thurgau hereingebrochen: «Unsere Bewohnerinnen und Bewohner werden gerade für alle möglichen Delikte verantwortlich gemacht. Das schürt Fremdenfeindlichkeit auf den Schultern vieler friedlicher Menschen», sagt Bischof. Hier sei Aufklärungsarbeit nötig: Die wenigsten Flüchtlinge brächten Probleme in die Schweiz. Sie seien vielmehr eine Chance.
Durchmischung beibehalten
Gerda Schärer macht in der Schweiz und insbesondere im Thurgau durchaus Lichtblicke aus: «Ich schätze es sehr, dass wir hier praktisch keine ‹Ghettos› haben.» Sie und ihre Familie hätten ein Jahr lang in einer Sozialwohnung in Frankreich gelebt. Es sei auffallend gewesen, wie wenig durchmischt die riesigen Wohneinheiten seien. In gewissen Quartieren hätten sie sich in einer nordafrikanischen Stadt gewähnt, und nicht in Frankreich. Dadurch könne eine Integration gar nicht stattfinden. Die 58-Jährige betont deshalb: «Wir sollten uns bemühen, die kulturelle Durchmischung beizubehalten.»
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