Verraten und bespitzelt vom eigenen Ehemann
Lügen ist nie schön. Besonders in vertrauten Beziehungen. Für die Ostberliner Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld brach eine Welt zusammen, als sie erfuhr, dass ihr eigener Mann sie für die Stasi bespitzelt hatte. Unter dem Decknamen «Donald» verriet er seine eigene Familie, indem er sehr persönliche Informationen über die neu gegründete «Kirche von unten» und den «Pankower Friedenskreis» weitergab.
Seine Bespitzelung führte dazu, dass seine Frau inhaftiert wurde.
Es sind Inhalte aus Gesprächen, auf Spaziergängen, in den Familienferien. Dafür wurde ihm vom Ministerium für Staatsicherheit ein Gefühl von Wichtigkeit vermittelt, die grosse Politik mitgestalten zu können. Seine Bespitzelung führte dazu, dass seine Frau inhaftiert wurde und Wochen später die DDR verliess, um nach Grossbritannien auszureisen. Er selbst bekam ein Visum, um seine Familie zu besuchen.
Fake News gab es schon früher
Lügen kennt viele Gesichter, besonders in unruhigen Zeiten, wie im Jahr 2020. In solchen Situationen haben es Menschen noch einfacher, die alles noch schlimmer reden. Oder schlichtweg Unwahrheiten verbreiten. Fake News, die bewusste Verbreitung von Lügen, haben Hochkonjunktur. Mit der Angst Menschen zu manipulieren, das gelang damals, zur Zeit Jesu, wie heute. Jesus reagiert darauf: «Gebt acht, dass ihr nicht in die Irre geführt werdet.» (Lk 21,8) Schlagartig kommt einem Donald Trump in den Sinn, mit seinen vielen Twitter-Nachrichten.
Innere Landkarte
Die Wahrheit muss man sich erarbeiten, wie auch die Freiheit. Um souverän als Mensch leben zu können, hilft eine innere Landkarte. In ihr sind Erlebnisse vom Anfang unseres Lebens an enthalten, die uns vertraut machen mit dem, was richtig, wichtig und wahr ist. Im Laufe unseres Lebens überprüfen wir diese Landkarte immer wieder, korrigieren und ergänzen sie. Vorbilder, die für die eigene Entwicklung wichtig waren, verlieren an Bedeutung oder erhalten eine neue Rolle. So lernen wir, nicht blind der Masse zu folgen, sondern für unsere Überzeugungen und Meinungen einzustehen.
Mit Angst Menschen zu manipulieren, das gelang damals, zur Zeit Jesu, wie heute.
Falsch Zeugnis ablegen kennt viele Varianten – darunter die vermutlich gängigste: aus Bequemlichkeit oder Feigheit im entscheidenden Moment zu schweigen, wenn ein Unrecht geschieht. Weil es das eigene Leben auf einmal komplizierter macht, wenn man sich in einen Konflikt einmischt. Weil man selbst Farbe bekennen muss. Weil man sich seine eigene Rolle genau überlegen muss.
«Der Kaiser ist Nackt!»
Kennen Sie das Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen «Des Kaisers neue Kleider»? Ein Kaiser lässt sich von zwei Hochstaplern für viel Geld neue Gewänder herstellen. Der Betrug wird erst aufgedeckt, als bei einem Festumzug ein Kind laut in die Menge ruft: «Der Kaiser ist nackt!» Eingreifen und handeln, wenn wir die Notwendigkeit erkennen – wie das Kind im Märchen. Das braucht Entschlossenheit und Zivilcourage.
Der Moment der Wahrheit kam für Vera Lengsfeld 1991, nach dem Zusammenbruch der DDR. Dann erfuhr sie, dass ihr Mann sie bespitzelt hatte. Sie liess sich von ihm scheiden. Doch die Wahrheit war auch die Grundlage für die Versöhnung. Vera Lengsfeld hat ihrem Ehemann später den langjährigen Verrat verziehen.
Text: Friederike Herbrechtsmeier, Pfarrerin, Gossau | Illustration: Sandra Künzle, St. Gallen – Kirchenbote SG, Januar 2021
Verraten und bespitzelt vom eigenen Ehemann