Verantwortungsethik statt Moralkeule
Einen Eroberungskrieg in Europa, nur eine Flugstunde entfernt, hatten wir nach dem Ende der Ost-West-Spannung 1989 nicht erwartet. Viele Länder beendeten die allgemeine Dienstpflicht und haben Berufsarmeen. Die «Friedensdividende», die eingesparte Rüstung, wurde anderswo ausgegeben. Die Verwerfungen begannen vor längerer Zeit und sie fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen: Mehrere Länder kehrten von westlichen Werten ab, die viele naiverweise für universell hielten. Osteuropäische Länder wie Polen und Ungarn haben muskulösere Vorstellungen von Demokratie und Gerichtswesen. Ebenso die Türkei. Russland unter Präsident Putin, China unter Präsident Xi kehrten zur Diktatur zurück. Russland führte Vernichtungskriege in Tschetschenien, Georgien, Syrien, annektierte die Krim. Wenn «Putin-Versteher» finden, 1989 habe der Westen seine Zurückhaltung mit der NATO versprochen, dann tat er es gegenüber einem anderen Russland, als es heute ist.
Die Macht des Dollar-Clearings
«Westlich» waren in der Welt die Grundrechte, Beschwerdemöglichkeiten, freie Wahlen und parlamentarischer Wettbewerb, und ökonomisch der offene Welthandel, offene Finanzflüsse, allerdings auch deren Kontrolle durch das Dollar-Clearing jeden Abend unter den Augen der USA in New York. Diese Kontrolle aller Grossbanken wirkt mehr als die 7. Flotte, und wurde zum mächtigen Hebel gegen Russlands Reserven. Zusätzlich baute man auf den Wohlstand des Westens.
Wir leiden unter den Nachrichten, gehen aber morgens unbeschädigt zur Arbeit, zum Einkaufen, auf Reisen.
Doch jetzt haben die Staaten mit dem ökonomischen Gewicht insgesamt gleichgezogen, technisch fast ebenso, sie alimentieren die Lieferketten mit billigen Waren und beherrschen knappe Rohstoffe, ihre finanziellen Polster sind enorm. Sie beginnen, ihre Inte-
ressen unter sich zu bündeln, einige gewaltige Länder gar als «Bande böser Buben»: Russland, China, Iran. Sie liefern untereinander, sie machen Zahlungen ohne Dollars und Putin kann seine Ölerträge in China deponieren. Indien unter Modi, Saudi-Arabien, die Türkei bieten auch gelegentlich mal Hand zu solchen Taten.
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Die Neutralität galt nie absolut
Immerhin, der Westen kämpft, wenigstens die Angelsachsen. Grossbritannien, die USA, Kanada waren Helfer der ersten Stunde in der Ukraine, massiv, militärisch, finanziell und technisch, während Kontinentaleuropa schlief. Ein eigentlicher «D-Day No. 2» findet statt. Die Sanktionen werden ohne Wehleidigkeit durchgezogen, auch von der Schweiz. Die Neutralität gilt und galt nie absolut, der Kern bleibt, die Schweiz führt keine Kriege, aber der Rest ist Praxis, mit Hilfe und Lieferungen – und was die Vormacht USA davon billigt. Die Schweiz hat – sogar mit Volksabstimmung – den Luftraum gesichert, die Territorialverteidigung läuft an. Die Jungen leisten wieder vermehrt gerne Militärdienst, eine Wende in den Köpfen für Freiheit und Wohlstand kommt auf.
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Die Schweiz soll nicht wie die EU, wie Deutschland mit der Moralkeule Aussenpolitik machen, sondern die Verantwortungsethik pflegen: wenn notwendig, hartes Handeln, weil man auf die Folgen sieht – im Kampf für unsere Interessen, für die Souveränität, wie es auch der Kampf der Ukraine ist. Innert Monaten ist die Welt eine andere geworden. Knappheit, Inflation, Krieg, Machtverschiebungen beendeten alte Gewissheiten. Die Schweiz blieb vorsichtig mit Verschuldung, Inflation, Staatsmacht, und unsere direktdemokratischen Wege funktionierten. Wir leiden unter den Nachrichten, gehen aber morgens unbeschädigt zur Arbeit, zum Einkaufen, auf Reisen. Dieses Privileg müssen wir stets erarbeiten, tüchtig, umsichtig, politisch diszipliniert, leidensfähig bleiben, um nicht leiden zu müssen.
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Text: Beat Kappeler | Foto: Volodymyr Tarasov / Ukrinform/Future Publishing via Getty Images  – Kirchenbote SG, 20. März 2023
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Verantwortungsethik statt Moralkeule