News aus dem Kanton St. Gallen

Vadian: Reformator und Politiker

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21.09.2022
Die Trennung von Kirche und Staat ist eine moderne Erscheinung. Am Beispiel des St. Gallers Joachim von Watt (1483/4–1551), genannt Vadian, kann gezeigt werden, dass dies früher nicht der Fall war.

Vadian entstammte einer wirtschaftlich und politisch führenden Familie. Schon der erste bekannte Vertreter der Familie von Watt bekleidete das höchste Amt. Das war Konrad von Watt, der als Sanktgaller Bürgermeister in der Schlacht an der Vögelinsegg 1403 starb. Vadian war eine ausserordentlich begabte Persönlichkeit: Humanist, Arzt, Bürgermeister, Reformator und Geschichtsschreiber. Im Alter von 17 Jahren ging er nach Wien, wo er Medizin studierte. In Wien machte er sich mit seinen literarischen Arbeiten einen Namen. Von 1512 an war er Inhaber eines Lehrstuhls für Philosophie und Poetik an der Universität Wien. 1516 wurde er zum dortigen Rektor gewählt. Warum Vadian von Wien, wo ihm eine akademische Laufbahn winkte, zurückkehrte, ist unklar. Der Sanktgaller Rat gab ihm ein Jahresgehalt von 50 Gulden sowie Steuer- und Wachdienstbefreiung. Er hatte Aufgaben, die man heute als Stabsstelle bezeichnen würde. Vadian hat vor allem als Politiker prägend gewirkt. 1521 nahm er Einsitz in den Kleinen Rat, welcher die eigentliche Obrigkeit darstellte. Auf das Jahr 1526 wurde er in der Stadtkirche St. Laurenzen zum Bürgermeister gewählt.

Kirche als politisch zentraler Ort
Dass die Wahl des städtischen Oberhauptes in einer Kirche stattfand, mag uns heute befremden. Bis weit in die Neuzeit hinein waren Kirchen Versammlungsräume der Stadtgemeinde, wo nebst dem Gottesdienst Gesetze und politische Informationen verkündet wurden. Kirchen waren nicht nur religiös, sondern auch politisch gesehen die zentralen Orte von Dörfern und Städten. Ein Überbleibsel davon ist die alljährlich in der St. Laurenzenkirche St. Gallen stattfindende Versammlung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen.

 

In der «heissen Phase» der Reformation, 1526, war Vadian Bürgermeister.

 

In der Sanktgaller Reformation spielte Vadian eine herausragende Rolle, auch wenn er, im Gegensatz zu Zwingli, kein Theologiestudium absolviert hatte. Sein Briefnachlass in der Vadianischen Sammlung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen zeigt, dass er sich spätestens seit 1520 mit Luthers Schriften befasste. Er begann, die Bibel mit neuen Augen zu lesen und hielt ab 1523 als Laie, also nicht als geweihter Priester, im kleinen Kreis der Lateinkundigen Vorlesungen zu biblischen Themen. In diesem Jahr gab sich Vadian auch als Anhänger der neuen Lehre zu erkennen. In der «heissen Phase» der Reformation, 1526, war Vadian Bürgermeister. Damit fiel ihm die Aufgabe zu, die Reformation in der städtischen Bevölkerung durchzusetzen. Die Verankerung der Reformation war wie wohl an vielen Orten auch in St. Gallen nicht die Leistung einer einzigen Person, sondern ein Teamwork von Theologen und Vertretern der Politik. Als Bürgermeister und Anhänger des evangelischen Glaubens fiel Vadian natürlich eine führende Rolle zu.

Reformation politisch durchgesetzt
Im Urteil der neueren Geschichtsforschung erreichte Vadian eine weitgehend disziplinierte, gelenkte Einführung der Reformation, die aber klare Zeichen setzte: In seiner ersten Amtszeit wurden die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen entfernt. Ab Ostern 1527 feierte man anstelle der Messe das evangelische Abendmahl. Die Frauenklöster St. Katherinen und St. Leonhard, die auf städtischem Boden lagen, wurden aufgehoben. 1529 kaufte die Stadt das Benediktinerkloster. Nach der Niederlage der Reformierten im Zweiten Kappelerkrieg 1531 wurde der Kauf als ungültig erklärt. Der Klosterkonvent zog wieder ein. Die Auflösung des katholischen Klosters in der reformierten Stadt war gescheitert. 

Von nun an galt es, eine Politik der Koexistenz der territorial kleinen, aber im Textilhandel international bedeutenden reformierten Stadt und dem katholischen Kloster in der Stadt mit einem grossen Territorium im Umland anzustreben. Die Stadt konnte unter Vadian als politisch und geistig führende Persönlichkeit ihre Selbstständigkeit und damit auch den reformierten Glauben bewahren.

Text: Stefan Sonderegger | Foto: Stefan Degen – Kirchenbote SG, Oktober 2022

 

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