News aus dem Kanton St. Gallen

Unter ganz normalen Frauen

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26.08.2016
«Ich weiss nicht, wo sie ist. Ich finde sie nicht», sagt die Schwester an der Pforte. Das Geheimnis klärt sich bald auf: «Ich war bei den Häschen», erzählt Sr. Manuela, die Frau Mutter des Franziskanerinnen-Klosters Notkersegg, St. Maria vom Guten Rat.

Die Schwesternfamilie hält ein Häschen-Paar und zwei Katzen auch ein Geschwisterpaar. Das passt: Der Ordensgründer, der Heilige Franziskus von Assisi, predigte auch den Tieren und ist der Patron der Tierärzte. Aufgewachsen ist Sr. Manuela, die Priorin des Klosters, im Taunus auf einem «Mondscheinbauernhof». Das sind Bauernhöfe, deren Eigentümer tagsüber einer Erwerbsarbeit nachgeht und abends, eben bei Mondschein, die Arbeit auf dem Hof erledigt. Sie wuchs als «Einzelkind» in einer Grossfamilie heran – mit vielen Jungs und vielen Tieren: Hund, Katze, Papageien . Sie nahm Ballettunterricht und wollte Tänzerin werden.

Ballerina

Sie war die Kleinste der Familie, aufgeweckt und sportlich, spielte mit den Jungs Fussball, bis der Opa fand, mit fünf müsse sie lernen, ein Mädchen zu werden und sie ins Ballett schicken wollte. Sie rebellierte. Da besuchte ihre Mutter mit ihr und den Knaben der Familie eine Aufführung des Balletts «Hänsel und Gretel». Die Jungs waren begeistert: «Wenn du das mal tanzt … » Sie nahm das Ballett sehr ernst, wollte Primaballerina werden. Als es um die Berufswahl ging, wünschten die Eltern, dass sie «etwas Richtiges» lerne. Sie erkannte, dass sie als Ballerina nur eine unter vielen sein würde. Da sie ganzheitlich arbeiten wollte, studierte sie Sozialpädagogik und Alternativmedizin. «Ich wollte immer wissen: Was steckt dahinter? Wo ist die Ursache?»

Der Ruf Gottes

Mit 27 war sie verliebt in den Mann ihres Lebens, wollte sechs Kinder haben – und dann der Bruch: «Ich spürte: Gott ruft mich. Ich versuchte, das wegzuschieben.» Es gelang nicht. Ein Priester riet ihr, einer Gemeinschaft beizutreten. Sie protestierte: «Mich einsperren lassen? Hinter Mauern? Bei heiligen Menschen?» Der Priester riet ihr: «Geh mal schauen.» Ihre Wahlheimat wäre Bayern gewesen. Wie sie nach St.Gallen kam? «Das ist ein Geheimnis Gottes.» Ruhe und Stille mochte sie nicht. «Hier im Kloster waren so normale Frauen, fröhlich und lustig; jede hat ihren eigenen Charakter. Ich habe es bis heute nicht bereut, hatte nie das Gefühl, ich gehörte nicht hierhin.» Inzwischen lebt sie 16 Jahre hier. «Es gibt Höhen und Tiefen. Manchmal rumst es, und es wird gestritten. Das ist normal. Dass man nicht ausweichen kann, ist gesund. Wir sind alle harmoniebedürftig; aber Auseinandersetzungen gehören dazu, sonst ist man nicht der Mensch, der man eigentlich ist. Flucht und Verdrängung machen psychisch krank. Das staut sich und explodiert irgendwann.»

Umgang mit Konflikten

In Familiengesprächen werden Konflikte analysiert, Lösungen gesucht, wie man damit umgehen kann. Im Kloster Notkersegg leben Frauen zwischen 35 und 99 – je eine Krankenschwester, Apothekerin, Wirtin, Verkäuferin und Bäuerin; drei der acht Schwestern sind jung – da gibt es auch Generationenkonflikte. Dazu kommen drei Mitlebende – darunter ein Mann, der bereits sechs Jahr bei den Kapuzinern als Bruder auf Zeit mitlebte – im Gästehaus. Eine der Mitlebenden war verheiratet, hat zwei Kinder, war evangelisch und konvertierte. Dazu kommen Menschen, welche die Schwestern unterstützen, und Mitarbeiterinnen – oft Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben.

 

Text: Margrith Widmer, Journalistin BR, Teufen | Foto: zVg  – Kirchenbote SG, September 2016

 

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