News aus dem Kanton St. Gallen

Umkehr dank dem Gefängnispfarrer

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22.12.2020
Von wegen «Du sollst nicht stehlen»: Der Wiler Ruedi Szabo hat einst Banken überfallen, Poststellen ausgeraubt und Menschen bedroht. Heute engagiert er sich vollberuflich in der Gewaltprävention.

Mit seinem üppigen grauen Bart, den Augenfältchen und seiner Gemütlichkeit ausstrahlenden Statur sieht Ruedi Szabo aus, wie man sich den Weihnachtsmann vorstellt. Und nicht wie jemand, der 1994/95 in der Ostschweiz innert weniger Monate rücksichtlos und gewalttätig sieben Raubüberfälle begangen hat. Die Vorgeschichte und seine Wandlung zeugen davon, dass es in jedem Leben Licht und Schatten gibt. 

Szabo war ein «schwieriges Kind», schrie und verhielt sich aggressiv, weshalb er von einem Psychiater abgeklärt wurde. Der fand heraus, dass er als Baby von einer Tagesmutter misshandelt worden war. «Dies habe ich jedoch erst bei den Recherchen für meine Biografie herausgefunden. Vermutlich wollten mich meine Eltern nicht belasten.» Ihnen wurde empfohlen, ihren achtjährigen Sohn ins Judo zu schicken. Der Kampfsport wurde zum Ventil. Im Militär wurde er Grenadier-Unteroffizier, legte zwölf Kilo Muskelmasse und an Selbstbewusstsein zu. 

 

Ein fünfjähriges Mädchen, dem er seine Waffe an die Schläfe gehalten hatte, um den Vater zur Öffnung des Tresors zu zwingen, litt in der Folge zwanzig Jahre unter Magersucht.

 

Beruflich schien Szabo ebenfalls auf einem guten Weg. Nach einer Lehre und Weiterbildung machte er sich als Fachmann für ökologisches Bauen selbständig. Das Geschäft lief zunächst gut. Weil er sich zu wenig um die Buchhaltung kümmerte, stand er jedoch vor dem Konkurs, als die Bank seine Situation prüfte und die Kredite kündigte. «Als mich dann noch meine Frau verliess, die Kinder mitnahm und 6200 Franken Alimente verlangte, brannte bei mir die Sicherung durch», erinnert sich Szabo. Als er in seiner Wut gegenüber seinen jungen Mitarbeitern den Spruch fallen liess, er müsste sich das Geld wohl wie Robin Hood von den Banken zurückholen, nahmen die das ernst und boten sich ihm aus Solidarität als Komplizen an. Als erstes überfielen sie einen Ex-Liebhaber seiner Frau, den er dabei lebensgefährlich verprügelte. Die Leiterin einer Postfiliale, die sie ausgebraubt hatten, wurde eine Woche danach durch einen Hirnschlag schwerbehindert, und ein fünfjähriges Mädchen, dem er seine Waffe an die Schläfe gehalten hatte, um den Vater zur Öffnung des Tresors zu zwingen, litt in der Folge zwanzig Jahre unter Magersucht.

 

 

Die Psychologin überzeugte ihn dann, dass er sich mit dem konfrontieren muss, was er getan hat, indem er seinen Opfern in die Augen schaut.

 

 

«Es war ein langer Weg, bis ich erkannte, was für ein Monster ich damals war», gesteht Szabo, der nach dem siebten Raubüberfall gefasst und zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Die erste und vermutlich wichtigste Person, die ihm bei seiner Umkehr geholfen hat, war der damalige Gefängnispfarrer Georg Schmucki. Zuerst hörte er einfach zu und nach einigen Gespräche sagte er: «Ruedi, ich bin ein leidenschaftlicher Seelsorger, aber du kannst deine Aggressionen gegen die Umwelt, die du für dein Unglück verantwortlich machst, nur in den Griff bekommen, wenn du dich in Therapie begibst.» Die Psychologin überzeugte ihn dann, dass er sich mit dem konfrontieren muss, was er getan hat, indem er seinen Opfern in die Augen schaut. Der Vater des Mädchens war nach der Begegnung und Szabos Ausbildung als Anti-Aggressions-Trainer sogar bereit, mit ihm Strafanstalten zu besuchen, um den Insassen zu zeigen, wie Opfer-Täter-Gespräche aussehen können. «Paul sagte zu mir, er könne mir nie verzeihen, was ich seiner Familie angetan habe, aber wenn wir nur einen Täter davon abhalten können, dass er rückfällig wird, lohne sich unser Einsatz schon.»

Obwohl Szabo nach seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug in seiner beruflichen Resozialisierung wegen Sparmassnahmen im Betrieb, inhaltlichen Differenzen und gravierenden gesundheitlichen Problemen immer wieder zurückgeworfen wurde, verlor er nie den gewonnenen Glauben, dass Gott ihm sowohl die Herausforderungen wie die Menschen, die ihn bei deren Bewältigung unterstützen, geschickt hat. Er beklagt sich auch nicht darüber, dass er voraussichtlich bis ans Ende seiner Tage mit dem Existenzminimum auskommen muss, da er immer noch Schulden aus der Insolvenz und ausstehende Alimente abzubezahlen hat. Szabo freut sich, dass er nach einem erfolgreichen temporären Engagement von der Diakonischen Stadtarbeit Elim in Basel eine Festanstellung als Ranger im Umgang mit Randständigen, Obdachlosen und Suchtbetroffenen erhalten hat.

Text | Foto: Reinhold Hönle, Journalist BR, Baden – Kirchenbote SG, Januar 2021

Hier hören Sie Ruedi Szabo im Gespräch mit dem Podcast Fadegrad.

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