News aus dem Kanton St. Gallen

«Tut um Gottes Willen etwas Tapferes»

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01.01.2016
GOSSAU. – 80 der 180 Delegierten aus den Kirchgemeinden haben sich in einer ausserordentlichen Synode Gedanken darüber gemacht, wie die St.Galler Kirche im Jahr 2030 aussehen könnte. Sie werde klassische Dienst­leistungen bieten, aber auch Raum sein für überraschende Initiativen aus der Basis – so der Tenor der verschiedenen Workshops und des Hauptreferats, gehalten vom Zürcher Theologen Ralph Kunz.

«Was hat der Gletscherschwund mit den Mitgliederzahlen der Kirchen zu tun?», fragte Ralph Kunz die Synodalen der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen in seinem Referat zur Zukunft der Kirche. «Beide schwinden in diesem Jahr etwa um den gleichen Wert: 1,5 Prozent.» 

Und wie sei der Schwund zu stoppen, wollte er weiter wissen. «Man könnte in beiden Fällen auf eine Eiszeit warten.» Ganz ernst meinte der Professor für praktische Theologie der Universität Zürich seinen Vorschlag nicht – schon deshalb nicht, «weil sich Eiszeiten schlecht voraussagen lassen». Darum entwickelte er in seinem Referat vor den Delegierten aus den St.Galler Kirchgemeinden, die sich in Gossau zur Aussprachesynode trafen, realistischere Szenarien.


Kirche im Dilemma
Gedanken über die Zukunft könne sich nur machen, wer seinen Ursprung und Standort kenne, betonte Kunz. «Wir sind nicht mehr die, die wir einmal waren», lautete dazu seine Kürzestdiagnose. So zeige etwa eine Studie, dass sich fast sechzig Prozent der landeskirchlichen Mitglieder als «distanziert» einschätzten. Distanziert heisse, dass sie nur noch an Weihnachten oder bei Lebensereignissen wie Taufe, Konfirmation oder Hochzeit kirchliche Angebote nutzten. Individualisierung und Säkularisierung verstärkten diesen Trend zusätzlich. Die Kirchen stecken diesbezüglich in einem Dilemma: «Ihr Auftrag ist es zwar, die Menschen in der Nachfolge Christi zu rufen,  gleichzeitig können die Mitglieder ihre Zugehörigkeit kündigen.»

Drei Möglichkeiten
Was tun? Kunz skizzierte drei mögliche Szena­rien: Erste Möglichkeit ist eine Dienstleistungs­kirche. Kirchen bieten wie ein Supermarkt das an, was von den Menschen nachgefragt wird.
Sie entwickeln sich zu kundennahen Zentren, die dort und dann präsent sind, wo und wann die Menschen sie brauchen. Vorbild dazu wären etwa Seelsorgeangebote in Spitälern, an Flug­häfen oder an Bahnhöfen.
Zweite Option ist es, Initiativen in den Gemeinden zu stärken. Menschen vor Ort würden in ­ihrem Glauben neue Gottesdienstformen finden und sozial aktiv werden. Ziel wäre es, dieses ­kreative Potential der Basis zu stärken.
Drittes Szenario ist die «Mixed Economy»: Kirche müsse gleichzeitig Dienstleisterin und Gemeinschaft sein. Das sei nur möglich, wenn nicht alle Gemeinden allerorten zur gleichen Zeit das Gleiche anbieten.

«Gedanken über die Zukunft kann sich nur machen, wer seinen Ursprung und Standort kennt.»

Gefordert sind unterschiedliche Zugänge: Wichtig sei es jedoch, die richtigen Schwerpunkte am richtigen Ort zu setzen.
Dies bedinge schmerzliche Entscheidungen – für das eine und gegen das andere, betonte Kunz. Denn Entscheidungen brauche es in jedem Fall, schon alleine wegen der knapper werdenden Ressourcen. Und wenn man schon daran sei, sich zu entscheiden, könne man sich an den Reformator Huldrych Zwingli halten, der gesagt haben soll: «Tut um Gottes Willen etwas Tapferes.»

Text: Andreas Ackermann | Foto: as  – Kirchenbote SG, Oktober 2015


Ein Podcastvideo des Einstiegs­referats findet sich auf der Website der Kirchgemeinde Gossau.

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