Teil 2: Doch der Kauz oder gar die Kälte?
«Seit über 40 Jahren beobachten wir im Dachstuhl und Turm dieser Kirche diese zwei Fledermauskolonien», sagt René Güttinger. Er hatte die Einflugmöglichkeiten für den Kauz mittlerweile geschlossen, aber jetzt, Anfang Mai, vielmehr Alttiere der Grossen Mausohren erwartet als nur diese wenigen Langohren. Bis der Kauz die Vorzüge des Gemäuers in Oberglatt entdeckt hatte, sind jährlich bis zu 400 Weibchen des Nachts durch die kleinen Fenster eingeflogen, um ihre Jungen aufzuziehen. 2023 sank der Bestand wegen der Eule auf rund 200 Muttertiere. Sie fühlten sich gestört.
Eichberg mit grösster Kolonie
«Oberglatt ist nach Eichberg mit gut 600 Tieren die zweitgrösste Mausohrkolonie.» Viele solcher Kolonien aber gibt es nicht mehr im Kanton St. Gallen. Noch hat es sie in der katholischen Kirche Gommiswald (120), in Gams (130) und im Schulhaus Bifang in Uznach mit ungefähr 80 Weibchen. Ja, keine Männchen, diese sind Einzelgänger – nur Weibchen, die jetzt im Frühjahr trächtig sind.
Sie richten hier ihre «Wochenstube» ein. Dann offenbart sich diese Fortpflanzungskolonie als zitternder Knäuel an Tieren. «Sie frieren nicht, sondern geben sich und ihren Föten gegenseitig warm.» Die Fledermäuse sollten deshalb nicht in eine Tageslethargie fallen, bei der die Körpertemperatur um wenige Grade absinkt. Beim Winterschlaf ist dies anders. Hier kann der Unterschied bis zu 40 Grad Celsius betragen. Die Körpertemperatur geht runter auf 0 bis 5 Grad Celsius.
Vorerst ist «Stobete»
Doch vorerst, wenn es wärmer ist, wohl in den ersten Juniwochen, soll geboren werden. Nicht alle Weibchen bringen ein Junges zur Welt. Man geht von der Hälfte bis zu zwei Dritteln aus. Nackt, ohne Fell und mit geschlossenen Augen wie die Kaninchen erblicken dann die kleinen Fledermäuse das Licht der Welt. Die ersten zehn Tage können die Winzlinge ihre Körpertemperatur nicht regulieren. «Deshalb sind das Zusammenrotten im Verband und ein warmes Quartier das Wichtigste», erklärt der Biologe.
So unfertig die kleinen Grossen Mausohren sind, ein Körperteil ist bei der Geburt voll ausgebildet: der Fuss. Damit kann sich das Jungtier ab der ersten Nacht an einem Balken festhalten, wenn es alleine ist und die Mutter dem Futter, meist Laufkäfern, nachjagt. Das Rein- und Rausfliegen, das Füttern der Nachkommen dauert rund zwei Monate. Dann sind die Tierchen flügge, etwa 25 Gramm schwer und kurz darauf sind die Mütter weg.
Einzigartiger Mechanismus
Denn bevor der Herbst und die Kälte kommen, heisst es, sich wieder paaren und begatten. Die Polygamie lässt Spermien in der Gebärmutter zurück, zur Befruchtung kommt es aber vorerst nicht. Wegen der nahenden Winterkälte und des Winterschlafs ist der Eisprung so gesteuert, dass er erst im Frühling hormonell ausgelöst wird. «Dies kann bei den Säugetieren nur die Fledermaus.» Und wer jetzt mit dem Reh aufwartet … bei ihm wird der Keim im frühen Wachstum gebremst. Feinde hat das Grosse Mausohr, das rund 25 Jahre alt werden kann und mit einer Spannweite von 40 cm zu den grössten Fledermäusen der Schweiz zählt, kaum. «Die grösste Gefahr ist der Mensch. Für die Weibchen ist das Quartier zum Gebären der Dreh- und Angelpunkt, der sensibelste Platz überhaupt. Dem müssen wir Sorge tragen, bei Renovationen achtsam sein.» In Oberglatt wurde dies gemacht. Und doch hat es derzeit wenige Grosse Mausohren. «Vielleicht liegt es an der Kälte. Oder doch am Kauz?» Ein weiterer Kontrollgang ist angesagt.
Fledermäuse in Kirchen im Kanton St. Gallen
Eine Grosszahl der 30 geschützten Fledermausarten der Schweiz hängen sich im Juni und Juli mit Vorliebe in alte Häuser oder Kirchen. Dort finden sie einen idealen Lebensraum. In einer losen Folge will der «Kirchenbote» diese treuen Kirchenmitglieder genauer beleuchten und dabei Themen streifen wie Koexistenz im Kulturgut, Renovationen von Häusern und Kirchen sowie Betreuung und Zählung der Fledermäuse. Zudem stellt er besondere Kolonien im Kanton St. Gallen vor. Fachlich werden die Artikel vom Toggenburger Fotografen und Biologen René Güttinger begleitet. Er ist kantonaler Fledermausschutz-Beauftragter Appenzell-St. Gallen.
Teil 2: Doch der Kauz oder gar die Kälte?