Stille öffnet den Zugang zum Glauben neu
Unser Leben wächst aus der Stille. Doch der Mensch wird permanent berieselt, ist dauernd beschäftigt und abgelenkt vom Wesent-
lichen. In der Stille und im Nichtstun kann etwas in die Tiefe sinken, sich etwas setzen. Schon Jesus nutzte oft die Stille der Nacht, um zu beten. Und der deutsche Religionsphilosoph Romano Guardini sagte: «Es sind die leisen Kräfte, die das Leben tragen.» John Bachmann, Pfarrer in Grabs-Gams, erklärt: «Aus christlicher Sicht ist es ein Offenwerden für den personalen Gott.»
Schöner, bewegender Moment
Oft benötigt es ein einschneidendes Erlebnis, eine Krankheit oder Turbulenzen in der Familie, bis man den Alltag hinterfragt. So war es auch bei Bachmann: «Um das zu überstehen, brauche ich eine grössere Kraft», sagte er sich damals und suchte eine Kraftquelle. Er fand sie in der Stille, in der Meditation. «Für mich war das eine neue Entdeckung. Ein sehr schöner, bewegender Moment.»
Meditation als Teil des Tages
In der Zwischenzeit hat sich John Bachmann im Büro eine Ecke und zu Hause ein Zimmer eingerichtet, mit Decke, Meditationsschemel und Bibel. Er versucht, täglich eine halbe Stunde zu meditieren. «Das gelingt nicht immer, aber sehr häufig», sagt er. Er versuche, seinen Körper zu spüren, zu erfahren, den Atem wahrzunehmen. Dann betet er ein Anfangsgebet, um sich für Gott zu öffnen, liest einen Text und versucht, mit Gott über den Text ins Gespräch zu kommen. Nach rund 25 Minuten richtet er sich mit einer Bitte oder einem Dank an Gott. Die noch verbleibende Zeit nutzt er, um seine Erfahrungen aus der Stille aufzuschreiben.
«Junge Menschen, die meditieren, sind eher selten.»
John Bachmann, Pfarrer in Grabs-Gams
Zusätzlich zum Zwiegespräch mit Gott pflegt John Bachmann auch die Kontemplation. Beim wortarmen Gebet wird ein einziges Wort oder ein Satz «auf den Atem gelegt». Eine klassische Kontemplation ist das Jesusgebet. Bachmann pflegt eine Gebetsform, die vom ungarischen römisch-katholischen Ordenspriester Franz Jalics stammt: Beim Ausatmen wird «Jesus» gebetet, beim Einatmen «Christus». Bachmann erläutert: «Jeder Atemzug ist eine Hinwendung zu Gott. Das ist zutiefst faszinierend.»
Auf dem Weg der Entscheidung
Diese ignatianischen Exerzitien (geistliche Übungen) wurden und werden häufig auch vor grossen Entscheidungen durchgeführt, weil sie immer auch etwas aufbrechen und später zu Entscheidungen führen. «Es ist dann ein feines Abwägen, ein Klären, zu bleiben oder einen neuen Weg einzuschlagen», sagt John Bachmann. Es gibt viele verschiedene Meditationsformen. «Zum Beispiel die Murmelmeditation, bei der man vor sich hinmurmelt. Sie ist eine tolle Sache, weil man eine Stimme hört und damit die Wahrnehmung, dass Gott mit uns redet, vertieft wird. Aber vielleicht nicht das Richtige während des Sonntagsspaziergangs», sagt er lachend.
Dank der Unterstützung der eigenen Kirchenvorsteherschaft konnte sich John Bachmann zum Meditationsleiter und geistlichen Begleiter ausbilden. Seither bietet er in der Gemeinde Meditationskurse an. Diese bewegen. Menschen kommen in die Kurse, einzelne in die geistliche Begleitung. «Es hat eine Vertiefung des Glaubenslebens stattgefunden.» Meist sind es Menschen über 40, wie John Bachmann feststellt: «Junge Menschen, die meditieren, sind eher selten.»
«Eine riesige Chance»
Doch Pfarrer Bachmann ist überzeugt, dass sich das ändern wird: «Schweigen und Stille, diese Themen werden in vielen Kirchen immer wichtiger werden. Der Christ der Zukunft wird mystischer sein, sagte der Theologe Karl Rahner. Die Meditation in der Kirche ist eine riesige Chance in einer sehr anspruchsvollen Zeit, den Glauben an Jesus Christus neu zu entdecken.» Deshalb hofft er, dass auch die junge Generation von Pfarrerinnen und Pfarrern diesen Weg entdeckt: «Die Stille öffnet den Zugang zum Glauben ganz neu. Dies wird es brauchen.»
Text | Foto: Andrea Kobler, Journalistin, Marbach – Kirchenbote SG, Januar 2023
Stille öffnet den Zugang zum Glauben neu