News aus dem Kanton St. Gallen

Sterben – Hinübergehen

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01.01.2016
Sterben blüht uns allen. Niemand kann sich davon ausnehmen. Doch als was kann das Sterben verstanden werden? Eine biblische Besinnung.

 «Ich führte sie aus Ägypten heraus und brachte sie in die Wüste.» Hes. 20, 10


Sterben blüht uns allen. Jeder Mensch und alle Kreatur ist davon betroffen. Keiner kann sich davon ausnehmen. Sterben kann ich verstehen als den Vorgang des Auslöschens meiner Existenz. Sterben kann für mich bedeuten, dass der Körper mit seinen Lebensfunktionen erlischt, dass aber die Seele weiterleben wird. Den Vorgang des Sterbens verstehe ich dann als ein ­Hinübergehen aus einem Leben mit Einschränkungen wie Angst, Krankheit und Schicksal in eine paradiesische Vollkommenheit.

Die Wegstrecke ins Verheissene Land
Die frühen Geschichten der Bibel erzählen von der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten.  Man hat sich dort einigermassen eingerichtet, leidet aber unter den Fesseln der Knechtschaft. Befreiung ist jetzt angesagt, hinaus und hin­über in ein versprochenes Land Kanaan, das von Milch und Honig fliesst.

In diesen Geschichten erblicke ich auch ein Bild für die Reise von einer diesseitigen Existenz hinüber in ein versprochenes jenseitiges Sein. Dabei richtet sich mein Augenmerk nicht auf Ausgangsort und Ziel, nicht auf Ägypten und Kanaan, nicht auf Diesseits und Jenseits, sondern auf die Wegstrecke dazwischen.

«Ihr sollt das Land zu eigen bekommen, ein Land, das von Milch und Honig fliesst.»  3. Mose 20, 24


Israel wandert vierzig Jahre in der Wüste herum. Der biblische Bericht begründet die lange Wüstenwanderung mit der Untreue der Israeliten, die auf ihrer Wüstenwanderung nicht den göttlichen Weisungen folgen wollten.

Wüstenzeit als übergang

Sterben kann einer Wüstenwanderung gleichen. Für die meisten ist es ein Prozess, eine lange Reise. So erfahre ich es in der Begleitung von Sterbenden. Ob ein starker Glaube, ein ungebrochenes Vertrauen in die göttliche Führung diese Reise erleichtert oder abkürzt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Sterbende, und auch Menschen, die Sterbende begleitet haben, berichten von «Wüstenzeiten» – wie sie ja auch das Leben beinhaltet. Sie berichten von lichten Momenten, von der Erfahrung des Getragenseins oder der Errettung aus grosser Not. Solche Erfahrungen finden sich auch im biblischen Bericht von der Wüstenwanderung.

Menschen auf dem Weg «hinüber» erfahre ich wie eingespannt zwischen zwei sich kokurrenzierenden Zielen: Da ist die Sehnsucht und die Hoffnung auf das verheissene und lockende Land mit seinem Frieden einerseits. Und da ist andererseits die irdische Existenz mit ihren Einschränkungen, Schmerzen und Leiden, quasi das Land Ägypten, wo es wenigstens «volle Fleischtöpfe» gibt. Das ist das Land, in welchem man sich eingerichtet hat.

Das unbekannte Ziel vor Augen

Der Weg des Sterbens lässt in der Erinnerung den Blick zurückgehen in die erlebten Jahre und Ereignisse, voller Wehmut beim Gedanken an Missratenes – aber auch froh, dass manch steiniger Pfad überwunden ist und die Wunden, die das Schicksal geschlagen hat, nun endgültig verschlossen werden. Die Tränen werden ab­gewischt sein. Klage und Trauer werden nicht mehr sein (Off. 21, 4). Für dieses Land des endgültigen Friedens hat der sterbende Mensch zwar keine Garantie in der Hand, aber er ahnt, dass er auf so etwas zugeht.

Der biblische Bericht von der Wüstenwanderung Israels liest sich als eine Reihe von dramatischen Ereignissen, als Weg voller Hindernisse, gespickt mit Errettungen, mit Blicken zurück und nach vorn. Das wandernde Volk erfährt sich als von Gott geführt, auch wenn es öfter rebelliert und in der Auflehnung seltsame Wege beschreitet. Wenn wir sterben, gehen wir unseren eigenen Weg «hinüber». Er lässt sich nicht «umgehen». Doch in jedem Augenblick ist er in der Hand dessen, der das Wegziel gesetzt hat.

Text: Markus Walser, Klinikseelsorger in Wil | Foto: Adelheid Walser – Kirchenbote November 2016

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