News aus dem Kanton St. Gallen

Spenden: ein Milliardenmarkt

min
20.01.2023
Schweizerinnen und Schweizer sind grosszügig: Jährlich werden im Spendenmarkt Milliarden umgesetzt. Wer Geld für wohltätige Zwecke gibt, will Gutes bewirken. Trotzdem beschleicht einem manchmal der Verdacht, dass das Geld versandet. Worauf es ankommt, dass die Spende wirkt.

Sierra Leone, 180 km von der Hauptstadt Freetown entfernt. Früher bauten Bauern hier Lebensmittel für den Eigenbedarf an. Dann kam die Genfer Firma Addax Bioenergy und pachtete ihr Land für 50 Jahre. Unterstützt durch europäische Entwicklungsgelder – auch durch Gelder aus der Schweiz – wollte sie Biosprit herstellen. Heute ist die Firma pleite, das Projekt gescheitert und die Bauern haben den Zugang zu ihrem Land verloren. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

 

«Die Menschen vor Ort wissen meist am besten, was sie brauchen.»
Alice Hengevoss, Centre for Philanthropy Studies, Uni Basel

 

Worauf es ankommt, dass eine Spende etwas zum Guten bewirkt, weiss Alice Hengevoss. Die Ökonomin forscht am Center for Philanthropy Studies der Universität Basel zur Arbeit von Non-Profit-Organisationen (NPO) und gemeinnützigen Stiftungen. «Ratsam ist es, das Projekt klein zu beginnen», sagt Hengevoss, «und nach und nach auszubauen.» Eine Bedarfsanalyse sei zentral. «Im Bereich Entwicklungszusammenarbeit heisst das, die Menschen vor Ort einzubeziehen.» Deren Alltag, Werte und Weltbilder unterschieden sich oft deutlich von denjenigen in der Schweiz. «Man sollte also nicht die Haltung haben: Jetzt zeigen wir mal denen da unten, wie es läuft.» Denn die Menschen vor Ort wüssten meist am besten, was sie brauchten.

Austausch in beide Richtungen
Dem pflichtet Jochen Kirsch bei. Der Pfarrer ist Direktor von Mission 21, dem Missionswerk der Evangelischen Kirche Schweiz. «Wir sehen uns als weltweite Gemeinschaft, bei der alle aufeinander angewiesen sind.»

 

«Bei Mission 21 werden Grundsatzentscheide deshalb nicht von einem Gremium in der Schweiz gefällt, sondern von einer weltweiten Synode. Das betrifft auch das Budget.»
Jochen Kirsch, Direktor von Mission 21

 

Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu gestalten sei aber eine Herausforderung, besonders in einem postkolonial geprägten Kontext. «Bei Mission 21 werden Grundsatzentscheide deshalb nicht von einem Gremium in der Schweiz gefällt, sondern von einer weltweiten Synode. Das betrifft auch das Budget.»

Überhaupt gehe der Austausch in beide Richtungen: «Junge Leute aus der Schweiz gehen im Rahmen unseres Jugendbotschaftsprogramms zum Beispiel nach Costa Rica und lernen, was es heisst, als Kirche die Gesellschaft solidarisch weiterzuentwickeln. Mit diesen Ideen kommen sie zurück und bereichern die Schweizer Kirchenlandschaft.» So sei auch eine Partnerschaft der St. Galler Kirche mit einer Kirche in Tansania geplant.

Branche setzt Milliarden um
Wer spenden will, hat die Qual der Wahl. Das Tierheim in der Nachbarschaft oder das Naturschutzprojekt beim Amazonas? Die Spitex im Quartier oder die Lepra-Prophylaxe in Pakistan? Die Notschlafstelle im Stadtzentrum oder die Hilfsgüterlieferung in die Ukraine? Das Klimaprojekt in der Sahelzone oder die Schule für Strassenkinder in Kambodscha? Wie findet man da als Spendenwillige das passende Projekt? «Man sollte darauf achten, dass die Organisation seriös aufgestellt ist», sagt Alice Hengevoss. Vielleicht trage sie ein Gütesiegel, vielleicht kenne man die Verantwortlichen persönlich. Und dann stelle sich die Frage: «Wofür schlägt das Spenderherz?»

 

Doch die Forderung der biblischen Propheten ging über blosse Hilfe, über blosse Trostpflaster hinaus. Vor Augen hatten sie die Vision einer gerechteren Welt.

 

Das Spenderherz von Herrn und Frau Schweizer ist gross. Vier von fünf Haushalten geben laut Zewo-Spendenreport Geld für wohltätige Zwecke – jeder zweite mehr als 360 Franken im Jahr. Rund zwei Milliarden Spenden erhalten Hilfswerke gemäss Hochrechnung der Zewo jährlich. Doch das Geld kommt nicht nur von Privaten: Mehr als 13 000 gemeinnützige Stiftungen engagieren sich in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Umwelt, Bildung und Forschung. Auch Kirchen und Firmen spenden Geld. Hinzu kommen Beiträge der öffentlichen Hand. Etwa die Hälfte der Spendengelder kommt Projekten im Inland zugute, die andere Hälfte geht an international tätige Organisationen.

Wohliges Gefühl beim Spenden
Weshalb aber geben Menschen Geld ohne Gegenleistung? Die Motive seien vielfältig, sagt Ökonomin Alice Hengevoss. Untersuchungen hätten gezeigt, dass ein wohliges Gefühl wichtig sei, das in der Psychologie «warm glow» genannt werde: Man empfinde es beim Spenden und suche es unbewusst. Daneben gebe es ein altruistisches Motiv: Man hatte Glück im Leben und will etwas zurückgeben. Andere spenden, weil sie zur Erkenntnis gelangen, dass eine Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn diejenigen, die zu viel haben, denjenigen etwas abgeben, die zu wenig haben. Und schliesslich gebe es einen monetären Anreiz: «Man kann die Spende von den Steuern abziehen.»

Biblische Vision einer gerechten Welt
Bei manchen ist der Antrieb auch im christlichen Glauben verwurzelt. Zur Zeit der biblischen Propheten gab es grosse Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen Einflussreichen und Entrechteten. Das war den Propheten ein Dorn im Auge: «Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn», heisst es etwa in Jesaja 58. Doch die Forderung der Propheten ging über blosse Hilfe, über blosse Trostpflaster hinaus. Vor Augen hatten sie die Vision einer gerechteren Welt.

«In jüdisch-christlichem Verständnis befreit Gott die Menschen aus Knechtschaft und Unterdrückung», sagt Jochen Kirsch, Direktor von Mission 21. Das sehe man im biblischen Buch Exodus, bei der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei. «Wenn wir diesen Gott als Christen bezeugen, dann betrifft das auch uns Menschen: Wir sollen im Sinne unseres Gottes dazu beitragen, dass Menschen gestärkt und befreit werden.» Aus diesem Gottesverständnis heraus verstehe er die Aufgabe von Mission 21 als Missionswerk.

Gütesiegel ist mehr als Imagepflege
Grössere Schweizer Hilfswerke kommen kaum um ein Gütesiegel herum. Mission 21 und das Hilfswerk der Evangelischen Kirche Schweiz (HEKS) tragen das Zewo-Gütesiegel. Es ist neben «Ehrenkodex» das wichtigste Gütesiegel für NPO in der Schweiz und verlangt Standards in Bezug auf Transparenz, Mittelverwendung und Professionalität. Bloss: Ist das mehr als Imagepflege? «Ja», sagt Alice Hengevoss. In ihrer Dissertation hat sie untersucht, ob Zewo-zertifizierte NPO sich auch intern an die Standards halten. Fazit: Die Zertifizierung bewirkt etwas, die NPO setzen die Standards tatsächlich um. Für kleinere Organisationen sei der Aufwand der Zertifizierung aber hoch, gibt Hengevoss zu bedenken. «Deswegen verzichten viele darauf – was nicht heisst, dass sie schlechter wirtschaften.»

Gelder für Administration wichtig
Oft wünscht man, dass die Spende möglichst vollumfänglich dem Zweck zugute kommt, dass es «vor Ort» ankommt und nicht in der Administration versickert. «Die Hilfswerke sind aber auf eine funktionierende Administration angewiesen», gibt Hengevoss zu bedenken. Einen Teil der Spenden für die Administration zu verwenden, sei deshalb nicht falsch. «Die Zewo verlangt, dass mindestens 65 Prozent der Mittel in die Projekte fliessen und höchstens 35 Prozent für Administration und Fundraising verwendet werden», erläutert sie. Die meisten zertifizierten NPO übertreffen diesen Wert deutlich: Mehr als 80 Prozent der Mittel fliessen durchschnittlich in die Projekte.

In Sierra Leone wechselten die Pachtverträge seit dem Konkurs von Addax Bioenergy mehrmals die Hand. Versprechen wurden gebrochen, Zugang zu ihren neuen Vertragspartnern erhalten die Bauern kaum. Dafür hilft ihnen eine lokale Organisation, ihre Rechte gegenüber den neuen Pächtern einzufordern. Mit Unterstützung aus der Schweiz: Finanziert wird sie unter anderem durch das HEKS.

Text | Grafik: Stefan Degen | Foto: HEKS – Kirchenbote SG, Februar 2023

 

Unsere Empfehlungen