News aus dem Kanton St. Gallen

«Söhne und Töchter werden weissagen»

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27.04.2016
Wie in allen Religionen, so spielen auch in der Bibel aussergewöhnliche Bewusstseinszustände eine zentrale Rolle. Sie zeigen dort aber eine klare Tendenz hin zur Unverfügbarkeit (Glaube), zur Vorläufigkeit (Hoffnung), zu Lebens­praxis und Gemeinschaft (Liebe).

 

Wenn die Bibel von der Führung Israels durch die Erzväter und Propheten berichtet oder das Leben Jesu und die Missionsreisen des Paulus schildert, ist die Rede von visionären Träumen, von Inspiration und Ekstase, von Himmelsreisen und Entrückungen oder von Erfahrungen der Gotteserfülltheit. 

Diese in der Bibel literarisch beschriebenen Bewusstseinszustände sind historisch nicht fassbar. Sie sind aber für die Entstehung der Religion wesentlich, etwa die Berufungsvisionen von Abraham, Moses und anderer Propheten, oder im Neuen Testament die Begegnungen mit dem Auferstandenen oder die Pfingst­erfahrung. Für Letztere sind aussergewöhnliche Bewusstseinszustände geradezu ein Ziel der göttlichen Menschheitsführung. 

Visionen sollen Normalfall werden

Als Petrus in der Apostelgeschichte 2 das Pfingstwunder erklärt, erinnert er die Menge der Anwesenden daran, dass hier erfüllt ist, was der Prophet Joel vorhergesagt hat: «Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da werde ich von meinem Geist ausgies­sen über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Alten werden Träume träumen. Und auch über meine Knechte und über meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgiessen, und sie werden weissagen.» 

Im antiken Umfeld der frühen Christen standen aussergewöhnliche Bewusstseinszustände hoch im Kurs. Das Neue Testament verwendet sie immer wieder als Stilmittel, sodass unklar bleibt, was bei Jesu Geburt, Taufe, Versuchung, Verklärung oder Auferstehung wie erfahren wurde. Es gibt aber neben diesen Erzählungen über Engelsbotschaften und Visionen im Neuen Testament auch Zeugnisse aus erster Hand. 

Auch in Korinth schätzte man übersinnliche Erfahrungen. Paulus, so hiess es, könne da nicht mithalten. Darum lässt er sich im 1. Brief an die Korinther darauf ein, seine genau datierbare Entrückung in den dritten Himmel, ins Paradies, zu erwähnen – um sich dann genau deswegen nicht zu rühmen, sondern seiner Schwächen wegen. Paulus scheint in der Nachfolge Jesu auch in der Anfechtung und im Leiden die Gegenwart Gottes erfahren zu haben. Und wichtiger als seine Gipfelerfahrungen sind ihm die Gemeinschaftsbeziehungen in Korinth.  

Prophetie vor Zungenrede

Im selben Brief gibt Paulus auch Anweisungen zu den aussergewöhnlichen Bewusstseinszuständen im Gottesdienst. Der Liebe und der Vernunft wegen schätzt er die prophetische Rede höher ein als die bloss sich selbst und Gott geniessende Zungen- oder Engelsrede: «Bleibt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Geistes­gaben, vor allem aber danach, prophetisch zu reden. Wer in Zungen redet, spricht  nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn: Er redet im Geist von Geheimnissen. Wer dagegen prophetisch redet, spricht zu Menschen: Er erbaut, ermutigt, tröstet. Wer in Zungen redet, baut sich selber auf; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf.» Seine Gedanken zu den Geistesgaben krönt Paulus mit dem bekannten Satz: «Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.
Die grösste unter ihnen aber ist die Liebe.» 

Paulus kennt wie das Johannesevangelium auch eine Art philosophischer Einheitsmystik.  Über den Geist Gottes, der verheissen ist, wird eine wache Teilhabe an der Weisheit Gottes möglich. «Der Geist nämlich ergründet alles, auch die Tiefen Gottes.» (1. Kor. 2, 10)

Die Visionen der Apokalypse

Einer Entrückung in andere Welten mit Schau und Audition verdanken sich die Inhalte des letzten Buches der Bibel, auch wenn deren Inhalte literarisch bearbeitet worden sind. Der auf Patmos gefangene Johannes sieht an einem Sonntag den «Menschensohn». Später wird er im Geist vor den Thron Gottes entrückt, wo das Lamm das Buch mit den sieben Siegeln öffnet. Johannes sieht die Kräfte, die zwischen Himmel und Erde wirken und in Siebenerzyklen die alte Schöpfung in einen neuen Himmel und eine neue Erde überführen. Im von Gott erleuchteten Neuen Jerusalem finden Völker mit ihren Schätzen ihr Ziel und der Mensch sein Paradies.

 

 

Text: Andreas Schwendener | Bild: Paul Mersmann  – Kirchenbote SG, Mai 2016



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