News aus dem Kanton St. Gallen

Sichtweisen auf das Abendmahl

min
21.03.2017
Beim Abendmal fand eine Verlagerung statt: von der Bedeutung der Feier als Ganzes hin zu den beiden Elementen Brot und Wein.

«Täglich hielten die Christen sich einmütig im Tempel auf, brachen in den einzelnen Häusern das Brot, assen mit Freude und schlichtem Herz.» Das lesen wir in Apostelgeschichte 2,46 über das Abendmahl. Einige Wochen zuvor hatte Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mal das Passah gefeiert (die Erinnerung des Volkes Israel an die Rettung aus der Sklaverei in Ägypten), dabei einige Worte grundlegend abgeändert und seine Nachfolger aufgefordert, diese Feier zukünftig im Gedenken an ihn und seinen (unmittelbar bevorstehenden) Tod am Kreuz immer wieder durchzuführen. Das Abendmahl ist aus dem Passahmahl heraus entstanden. Das Passahfest war eine Erinnerungsfeier im Familienkreis. Die Leitung des Mahls in den einzelnen Häusern lag beim jeweiligen Familienoberhaupt. Genau so haben die ersten Christen das Abendmahl auch gefeiert. 

«Heilmittel zur Unsterblichkeit»

Erstaunlicherweise hat sich bei diesen Feiern sehr schnell manches verändert. Bereits ab dem Jahr 100 wurde es üblich, dass nur noch der Gemeindebischof (= Pfarrer) im Gemeindegottesdienst das Abendmahl austeilte. Und es fand eine Verlagerung statt: von der Bedeutung der Feier als Ganzes hin zu den beiden Elementen Brot und Wein. Ignatius von Antiochien (†115) bezeichnete das Mahl als «Heilmittel zur Unsterblichkeit» und als «Gegengift gegen das Sterben» (also quasi eine Pille, die ewiges Leben vermittelt). Für Irenäus von Lyon (†202) bestehen die Elemente Brot und Wein aus zwei Wirklichkeiten, einer irdischen und einer himmlischen. Origenes (†254) meinte dagegen, dass die wahre Speise und der wahre Trank das Wort Gottes sei, das die Seele nährt, und dass die Elemente nur Symbole dieser Speise seien. Für Cyrill von Jerusalem (†386) sind Brot und Wein nur scheinbar Brot und Wein, auch wenn sie danach schmecken; sie sind vielmehr Leib und Blut Christi. Chrysostomus (†407) behauptete gar, dass Jesus selbst bei der Einsetzung des Abendmahls sein eigenes Blut getrunken habe.

Christus in den Elementen

Meilensteine bis heute haben dann Ambrosius von Mailand (†397) und Augustin aus Nordafrika (†430) gelegt. Ambrosius meinte, dass durch das Sprechen der Worte Christi das Brot zum Leib Christi «konsekriert» (geweiht) werde. Er begründete damit den sogenannten «Realismus», wonach Leib und Blut Jesu real anwesend sind. Augustin dagegen vertrat den sogenannten «Symbolismus»: Brot und Wein sind nur Bilder oder Zeichen für Leib und Blut Jesu, die Wirkung des Abendmahls ist abhängig vom Glauben des einzelnen Empfängers. Das Mittelalter hindurch wurde über diese beiden Positi­onen diskutiert, wobei die realistische Auffassung von Ambrosius sich mehr und mehr durchsetzte. Für Johannes Damascenus (†750) wiederholt sich im Abendmahls-Wunder das Wunder der Menschwerdung Christi. Auf dem Konzil von Konstanz (1418) wurde die «Konkomitanz» dogmatisiert. Sie besagt, dass in jedem der Elemente Brot und Wein jeweils Leib und Blut Jesu anwesend sind. Damit wurde, was sich in der Praxis schon eingebürgert hatte, offiziell: Für die Kirchenmitglieder gab es nur noch die Hostie (das Brot), der Kelch blieb dem Priester vorbehalten. Schon im 4. Laterankonzil von 1215 wurde die bis heute verbindliche katholische Auffassung festgeschrieben: die Lehre von der «Transsubstantiation» (= Wesensverwandlung). Durch das Sprechen der Einsetzungsworte des Priesters werden Brot und Wein in Leib und Blut Christi umgewandelt, sodass Christus in den Elementen wahrhaft körperlich anwesend ist. 

Symbol und Heiliger Geist 

Alle Reformatoren brachen mit dieser katholischen Auffassung, allerdings nicht alle in gleicher Weise. Auf der praktischen Seite setzten die Reformatoren durch, dass das Abendmahl wieder zu einer Feier der ganzen Gemeinde wurde «unter beiderlei Gestalt», also mit Brot und Kelch für alle. Luther vertrat eine stark realistische Auffassung: Leib und Blut Jesu sind wirklich «in, mit und unter» den Elementen Brot und Wein anwesend («Konsubstantiation»:
Koexistenz der zwei Substanzen, nicht Wesensverwandlung). Zwingli dagegen vertrat eine rein symbolische Auffassung. Brot und Wein sind keine Mittel der Gegenwart Christi, sie sind reine Zeichen. Das Abendmahl ist ein Gedächtnis- und ein Bekenntnismahl. Er betonte die enge Verwandtschaft mit dem Passahmahl. Calvin widersprach Zwinglis reinem Bekenntnis- und Symbolcharakter und hielt an der Realpräsenz Christi fest, allerdings nicht im körperlichen Sinne Luthers. Die Gegenwart Christi im Abendmahl geschieht für ihn vielmehr durch den Heiligen Geist. Die bis heute übliche reformierte Auffassung (Symbol, Erinnerung, Gegenwart Jesu durch den Heiligen Geist) wurde von Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger im «2. Helvetischen Bekenntnis» von 1566 formuliert.

Die Orthodoxen Kirchen lehren, dass Brot und Wein nach der Anrufung des Heiligen Geistes Leib und Blut Christi sind (Transsubstantiation), ohne erklären zu wollen, wie das genau geschieht. Sie lassen es als Geheimnis stehen. Alle Gemeindeglieder bekommen Brot und Wein ausgeteilt. Die Anglikanische Kirche orientiert sich, vereinfacht gesagt, an Calvins Theologie und am katholischen Ritus. Und die Freikirchen, inklusive der Pfingstgemeinden, haben allesamt ein reformiertes Abendmahlsverständnis.

 

Texte: Marcel Wildi, Buchs| Foto: as – Kirchenbote SG, April 2017

 

Unsere Empfehlungen

«Steh auf, wenn du am Boden bist»

«Steh auf, wenn du am Boden bist»

Sigmar Willi war schon mehrmals am Boden. Als seine Frau früh starb, zog er die vier Kinder alleine gross. Jahre später geriet er in eine Erschöpfungsdepression – die schlimmste Zeit seines Lebens. Im Rückblick analysiert er, was er brauchte, um vom Boden wieder aufstehen zu können.

«Steh auf, wenn du am Boden bist» (1)

Sigmar Willi war schon mehrmals am Boden. Als seine Frau früh starb, zog er die vier Kinder alleine gross. Jahre später geriet er in eine Erschöpfungsdepression – die schlimmste Zeit seines Lebens. Im Rückblick analysiert er, was er brauchte, um vom Boden wieder aufstehen zu können.

«Mir reicht’s, ich gehe beten»

Beten, bei Gott zur Ruhe kommen: Dies eröffnet nicht nur neue Sichtweisen, sondern gibt Hoffnung. Auch Jesus zog sich jeweils zurück, um Kraft zu tanken. Unsere Autorin schöpft sie aus dem Gebet.

Glauben praktisch gelebt

Mit dem Grabser Mesmer Remo Hagger hatte Kirchenbote-Autor Rolf Kühni schon mehrere erfreuliche Begegnungen. Grund genug, ihm auf den Zahn zu fühlen und zu erfahren, was ihn in seiner Arbeit so fröhlich macht.