News aus dem Kanton St. Gallen

Selbstbestimmt leben – selbstbestimmt sterben

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01.01.2016
RAPPERSWIL-JONA. Wo sind die Grenzen zum selbstbestimmten Leben und Sterben? Zu diesem brisanten Thema veranstaltete die evang.-ref. Kirchgemeinde Rapperswil-Jona einen Vortragsnachmittag mit anschliessender Diskussion und mit zwei kontroversen Referenten seitens Palliative Care und Exit.

Das Votum von Pfarrerin Renata Aebi, Beauf­tragte für Seelsorge in der Palliative Care der St.Galler Kantonalkirche, war klar. Sie sieht in der Forderung von Exit nach einem liberalisierten Zugang zum Altersfreitod für sogenannte «Lebenssatte» ein gefährliches und falsches gesellschaftliches Signal. Dies sei sozusagen eine Bankrotterklärung aller Bemühungen um Humanität und eine alarmierende Entwicklung! 

Die Diskussion um den Altersfreitod zeige die Verunsicherungen und Ängste einer breiten Öffentlichkeit in Bezug auf Hochaltrigkeit und Pflegeabhängigkeit. Allerdings stellte Renata Aebi nicht in Abrede, dass Menschen nach langem, unheilbarem Leiden an einen Punkt gelangen können, wo sie nicht mehr leben wollen und den Weg der Suizidbeihilfe sozusagen als letzten Ausweg wählen.


Palliative Care: Würdig Sterben

«Es soll ganz sicher niemand beurteilt oder gar verurteilt werden, der die Suizidbeihilfe wählt», so Pfarrerin Aebi. Doch sollten ihrer Meinung nach Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Menschen sich auch im hohen Alter, mit Gebrechlichkeit, Invalidität und schwerer Erkrankung angenommen fühlen und ihre Würde gewahrt wird. Die Lancierung der Palliative Care-Strategie 2010–2015 durch Bund und Kantone mit dem Ziel, die Lebensqualität von Schwerkranken und sterbenden Menschen in der Schweiz zu verbessern, sei ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, so Pfarrerin Aebi, ebenso das Grundlagenpapier des Bundes vom 31. August 2015 für den verstärkten Einsatz von Palliative Care in der Langzeitpflege und Pflege zu Hause.

Die Einzigartigkeit jedes Lebens und jedes Menschen habe einen unverlierbaren Wert. Durch solidarisches Teilen von Leben und Leiden lerne man viel. Wenn Menschenwürde mit Gesundheit und Funktionalität verknüpft werde, entstehe ein enormer Druck auf die Schwächsten in der Gesellschaft (Euthanasie-Gefahr).

Aus der christlichen Perspektive mache das Leiden durchaus Sinn, und Heil bedeute nicht unbedingt körperliche Unversehrtheit.
Palliative Care wahre die Würde und Daseinsberechtigung eines Menschen und unterstütze und begleite ihn. Dies geschehe mittels opti­maler Schmerz- und Symptombekämpfung – medizinisch, psychologisch, sozial und spirituell auf seinem Weg in den Tod.

Exit als Freipass in den Tod
Walter Fesenbeckh, Theologe und Freitodbegleiter und ehemaliges Vorstandmitglied Exit, sprach sich für die Sterbehilfe aus. Dies sei
keine Hauptstrasse zum Abgang, sondern eine Notlösung. Circa 600 Personen pro Jahr wählten in der Schweiz die Suizidbeihilfe. Eine starke Zunahme sei nicht zu verzeichnen. «Meistens treten die Angehörigen auf die Notbremse», so Fesenbeckh. Exit übe keinen Druck aus.
Für die Sterbehilfe gibt es klare Kriterien: Nur wer «aus selbstsüchtigen Beweggründen» jemandem zum Selbstmord Hilfe leistet, wird nach Art. 115 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Bei der Suizidhilfe geht es darum, dem Patienten die tödliche Substanz zu vermitteln, die der Suizidwillige ohne Fremdeinwirkung selber einnimmt.

Das Bundesgericht verlangt zusätzlich eine präzise Abklärung. Ob es sich um keinen Spontanentscheid handelt, muss durch einen Arzt oder zwei Psychologen abgeklärt werden. Es darf keinen Druck von aussen geben, die Urteilsfähigkeit muss vorhanden sein etc. Allerdings können auch psychisch wie körperlich Kranke diesen Dienst in Anspruch nehmen – ohne unheilbar krank zu sein. Exit sieht sich als marginale Ergänzung zu Palliative Care.

Das Gespräch weiterführen
Der gut besuchte Anlass endete in einer interessanten Diskussion. Jemand liess verlauten: Die fortschrittliche Medizin sei schuld, dass der Tod oft hinausgezögert werde. Die Patientenverfügung wurde als Mittel zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Entscheidung erwähnt und befürwortet – dies hinsichtlich des Umgangs mit der medizinischen Versorgung bei einer terminalen Erkrankung, einem schweren Unfall oder dem nahenden Tod.
Diese Verfügung könne durchaus eine Suizid­begleitung ersetzen, vermerkte Fesenbeckh. Auch das Sterbefasten sei eine Alternative.

Im Hinblick auf die Palliative Care wurden Bedenken laut wegen fehlendem Pflegepersonal, vor allem im Falle von Demenz und unheilbaren Schmerzen. Auch Christus als Wegbegleiter und Helfer kam ins Gespräch und die tragende Rolle des Glaubens. Ebenso standen Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Versorgung und deren Kosten im Raum, ob hohe Pflegekosten mögliche Auslöser für einen Suizid seien oder wann ein Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen angezeigt sei.
Wo sind die Grenzen der Selbstbestimmung? Dies seien schwierige Fragen, jeder müsse schlussendlich für sich selber entscheiden,
so Diakon Christopher Wellauer. Zum Thema ­Patientenverfügung sei ein separater Anlass im März 2016 geplant. 

Text: Antoinette Lüchinger, Jona | Bild: Ferdinand Hodler  – Kirchenbote St. Gallen, Januar 2016

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