News aus dem Kanton St. Gallen

Reformierte erwachen aus dem Kunstschlaf

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22.12.2019
Reformierte haben das Image, bilderfeindlich zu sein. Die Kirchen sind Predigthallen mit leeren Wänden. Unterhaltendes gibt es nicht. Aber mit der Populärkultur beginnt eine neue Lockerheit im Umgang mit Kunst.

Bilder anbeten geht gar nicht. Darin sind sich Luther und Zwingli einig. Genau das aber war die Praxis der mittelalterlichen Bilderverehrung. Im Abbild, so glaubte man, ist auch das Abgebildete gegenwärtig: Wo Gott drauf ist, da ist auch Gott drin. Das ist nach Meinung aller Reformatoren ein Verstoss gegen das Bilderverbot. «Du sollst dir kein Gottesbild machen», steht in den Zehn Geboten. Gottesbilder anbeten ist «Abgötterei» und die Abgebildeten sind «Ölgötzen». 

Bilder ja, Magie nein
Aber: Luther und Zwingli lehnen damit nicht die bildende Kunst ab. «Die Reformation wendet sich einzig gegen das magische Denken in der Anbetung von Gottesdarstellungen», sagt der Theologe Matthias Krieg. Er ist Leiter der Stabstelle Theologie der Zürcher Landeskirche. «Aber es ist eine anthropologische Gegebenheit, dass Menschen sich Gott bildhaft vorstellen. Die Bibel ist voll davon, vom ‹guten Hirten› über den ‹Felsen› bis zur ‹tröstenden Mutter›». Der Humanist Zwingli hat Freude an religiösen Darstellungen, sie sind ihm «zur Zier oder zum Gedächtnis» gemacht.

Sowohl Luther wie auch Zwingli lehnen einen «Bildersturm» ab, das gewaltsame Entfernen von Bildern in Kirchen. Ihnen geht es um das theologisch begründete Ende der magischen Bilderverehrung. Diese reformatorische Haltung ist in der westlichen Welt heute selbstverständlich: Der Gedanke einer religiösen Bildern innewohnenden «heiligen Energie» ist fremd.

 Impuls durch Popkultur
In den «Bilderstürmen» aber mündet die Ablehnung der Bilderverehrung in Aggression. Daher haben die Reformierten bis heute das Image der «Sinnes- und Kunstfeindlichkeit». Ausgehend von Luther und Zwingli ist das zwar ein Missverständnis, aber auch gesellschaftlich verankerte Missverständnisse sind wirksam. Richtig ist: Mit der Reformation haben die Bilder keine religiöse Funktion mehr.

Man glaubte bei Bildern: Wo Gott drauf ist, ist auch Gott drin.

In den protestantischen Kirchen fällt die Kunst nach der Reformation in eine Art Dornröschenschlaf. Der Kirchenbau ist schlicht: Weil das Hören auf das Wort Gottes zentrales Anliegen ist, soll der Raum möglichst wenig ablenken. «Kunst gerät in den folgenden Jahrhunderten in Vergessenheit und wird wenig mit Reformierten in Zusammenhang gebracht», sagt Matthias Krieg. Ausnahmen seien etwa Rembrandt in der Malerei und Bach in der Musik.

Erst mit der Populärkultur der 1960er-Jahre erwacht die Beziehung zwischen Kunst und Reformierten. Kulturelle Erzeugnisse nehmen in Musik, Bild und Kommunikation breiten Platz im Alltag ein. Die Popkultur nimmt ihrerseits das Thema Religion unbefangen auf. «Ein Street-Art-Künstler wie Banksy ist eine neue Chance für die Wiederentdeckung der Kunst in der Kirche», sagt Krieg. «Seine Bilder mit religiösen Anspielungen zielen auf existenzielle Fragen, quasi das Kerngeschäft der Reformierten.»

Zum Abendmahl an die Olma
Kunst spielt auch in der kirchlichen Kommunikation eine Rolle. Beispiel dafür ist die Aktion «Zum Abendmahl an die Olma» der St. Galler Kantonalkirche. Olmagänger machten das Da-Vinci-Abendmahl zu lebenden Skulpturen, dutzendfach fotografiert und auf der ref-sg-Homepage zu sehen. «Das gängige Kunstmotiv wird mit einer neuen Bedeutung aufgeladen», sagt Andreas Ackermann von der Arbeitsstelle Kommunikation. «In der Aktion wird eine reformierte Grundüberzeugung sichtbar: Kirche besteht aus den teilnehmenden Menschen.» Populärkultur dient in diesem Fall der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche.

 

Text: Daniel Klingenberg, Pfarrer in Krinau | Foto: Wikimedia  – Kirchenbote SG, Januar 2020

 

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