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Kommentar von Stefan Degen

Pünktlichkeit ein christlicher Wert?

von Stefan Degen
min
02.01.2025
Wer von «Werten» spricht, jongliert mit Schlagworten. Je nach Situation lassen sich die Phrasen noch mit dem Attribut «christlich» würzen. Eine Polemik gegen das Geschwätz von «christlichen Werten».

Vor acht Jahren stiess Gerhard Pfister in ein Wespennest. Der frisch gewählte Mitte-Parteipräsident – Die Mitte hiess damals noch Christliche Volkspartei (CVP) – hatte zu einer «Wertedebatte» aufgerufen. Seine Partei sei prädestiniert dazu, im Konflikt mit fundamentalistischen Ideologien – gemeint war islamistischer Extremismus – Stellung zu beziehen «für eine christlich fundierte westliche Gesellschaft und deren Rechtsstaat», sagte er damals. Er werde als Präsident alles unternehmen, damit der Name der Partei nicht geändert werde, stellte Pfister klar: «Das C ist eine Chance für uns.»

Man kann sich auf das «C» beziehen, wenn es gerade chic ist – und den Bezug wieder fallen lassen, wenn er nicht mehr opportun erscheint.

Vier Jahre später strich die CVP unter der Ägide Pfisters das Attribut «christlich» aus dem Parteinamen. Christliche Werte im Namen erachte eine klare Mehrheit der eigenen Parteimitglieder als nicht zukunftsträchtig, sagte Pfister dann. Im Klartext: Die Gesellschaft braucht die «christlichen» Werte zwar nach wie vor, an die grosse Glocke hängen will man das aber nicht mehr.

Nun, nur wer dumm ist, ändert seine Meinung nie. Das gilt auch für Parteipräsidenten. Zudem stellt sich die Frage, wie christlich die angeblich «christlichen» Werte tatsächlich sind. Gewiss: Die Idee der allgemeinen Menschenrechte zum Beispiel hat Wurzeln in der biblischen Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter steht für Solidarität und Zivilcourage. Exklusiv christlich sind diese Werte aber nicht. Es gibt auch Begründungen für Menschenrechte, Solidarität und Zivilcourage, die ohne das Attribut «christlich» auskommen.

Was gerade chic ist

Das führt dazu, dass das Gerede von «christlichen Werten» zur Beliebigkeit zu verflattern droht. Man kann sich auf das «C» beziehen, wenn es gerade chic ist – und den Bezug wieder fallen lassen, wenn er nicht mehr opportun erscheint. Und nicht nur Parteien und Politiker, auch Unternehmen und Verbände verfallen schnell in Schlagworte, wenn sie von Werten reden. Schlagworte, die so gut klingen, dass zum Beispiel gar nicht auffällt, wenn im gleichen Atemzug von Solidarität und Eigenverantwortung die Rede ist – obschon das Gegensätze sind.

Aus der Tyrannei ist Beliebigkeit geworden

Vor 65 Jahren sprach der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt von einer «Tyrannei der Werte». Heute müsste man eher von einer «Beliebigkeit der Schlagworte» sprechen. Der «Werte-Kompass» einer Partei nennt Anstand als christlich-abendländischen Wert. Anstand als christlicher Wert? Wo hatte Jesus denn seinen Anstand gelassen, als er die Tische der Geldwechsler umstiess und die Händler aus dem Tempel warf?

Ein anderer Politiker nannte Pünktlichkeit als christlichen Wert. Pünktlichkeit? Paulus zum Beispiel rechnete im 1. Thessalonicherbrief mit der Wiederkunft Christi noch zu Lebzeiten. Dann hätte der Heiland heute schon beinahe 2000 Jahre Verspätung.

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