«Musik ist mein Zugang zur Spiritualität»
Alles begann mit einem Elternschreck: dem Keyboard in Daniel Bleikers Kinderzimmer. Mit ein paar Knöpfen konnte man darauf Playbacks laufen lassen, zu denen der Dreikäsehoch klimperte. Ein Bumm-Bumm-Didel-Dumm, das den Eltern den letzten Nerv töten kann. Für Bleiker aber war es ein Erweckungserlebnis: «Am Keyboard machte ich meine ersten Improvisationserfahrungen», erinnert er sich. «Sie prägen mich bis heute.»
Laie bringt Kirche zum Klingen
Heute sorgt der 35-Jährige für Popmusik in der Kirchgemeinde Flawil. Ob an Familiengottesdiensten oder meditativen Abendfeiern, ob an Taufen oder Konfirmationen, ob allein oder mit Band: Immer wieder bringt Bleiker am Klavier die Kirche zum Klingen.
Der Hobbymusiker und Primarlehrer brachte sich das Klavierspielen zuerst selbst bei, später besuchte er Klavierunterricht bei Andreas Hausammann, dem Leiter der Evangelischen Kirchenmusikschule St. Gallen. Eine musikalische Berufsausbildung am Klavier hat er nicht.
Mit dem Bassisten kam der Groove
Aufgewachsen ist Bleiker in der Evangelisch-Methodistischen Kirche (EMK) in Flawil, einer Freikirche, die den Reformierten nahesteht. «Wir hatten schon immer Berührungspunkte mit den Reformierten und auch mit den Katholiken», erinnerte er sich. Flawil habe eine starke Ökumene: «Der Übergang zwischen den Konfessionen war für mich fliessend.» Heute besuche er beide Kirchen, die reformierte und die EMK.
In die Kirchenmusik ist Bleiker per Zufall reingerutscht. Vor einigen Jahren fehlte jemand, der in Flawil an der Konfirmation spielte. Über seinen Klavierlehrer gelangte die Anfrage schliesslich an Bleiker. Dieser nahm gleich noch einen befreundeten Schlagzeuger mit. «Ich fand das eine gute Gelegenheit, einmal vor Publikum zu spielen», erinnert er sich.
Nach der Konfirmation wurde Bleiker wieder angefragt, die Auftritte häuften sich. Manchmal begleitet er seine Frau, die singt und Geige spielt. Schliesslich stiess noch ein Bassist zur Band. «Der Bassist ist der Chef der Musik», schwärmt Bleiker, «er gibt vor, was harmonisch läuft, und sorgt für den Groove. Mit und ohne Bassist, das ist wie Tag und Nacht.»
88 Tasten erschliessen die Welt
Ist Bleiker nervös, wenn viele Menschen zuhören? «Als ich zum ersten Mal vor einem grösseren Publikum spielte, hatte ich enorm Lampenfieber», gesteht er, «aber mit der Zeit stellte sich eine gewisse Routine ein.» Etwas mache ihn allerdings nervös: wenn er wisse, «dass unter den Zuhörern ein Profimusiker ist, der jeden Patzer und jede Unsicherheit bemerkt».
Überhaupt müsse er viel üben für die Auftritte. Doch Zeit ist beim Vater zweier kleiner Buben rar: Morgens zwischen 6 und 7 Uhr und abends nach 9 Uhr seien die Zeitfenster zum Üben. «Da ich es gern mache, fühlt es sich nicht wie Arbeit an», sagt er. Denn die Musik erschliesse ihm die Welt. «Sie ist mein Zugang zur Spiritualität, mein Zugang zu Gott. Jeder Pianist hat nur 88 Tasten, aber durch diese Tasten öffnet sich eine unendliche Welt», schwärmt Bleiker. Popmusik sei im Vergleich zu Klassik harmonisch zwar ziemlich schlicht. «Sie ist aber für viele Menschen sehr zugänglich. Alle gehen mit den Melodien mit.» Und gemeinsam zu singen, verbinde. «Dadurch entsteht eine Ad-hoc-Gemeinschaft», sagt er, und fügt an: «Wo singt man denn heute noch gemeinsam, wenn nicht in der Kirche?»
«Musik ist mein Zugang zur Spiritualität»