News aus dem Kanton St. Gallen

«Mesmer sind am Puls der Gemeinde»

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21.04.2022
Christine Wymann ist Präsidentin des Schweizerischen Sigristen-Verbandes. Die Mesmerin in St. Gallen Straubenzell ist Gastgeberin mit Leib und Seele. Im Interview äussert sie sich über die Freude am Beruf, das Putzen und Konflikte in der Kirchgemeinde.

Frau Wymann, Sie sind Mesmerin seit 23 Jahren. Was begeistert Sie am Beruf?
Christine Wymann: Für mich ist er einer der schönsten Berufe, er ist wahnsinnig abwechslungsreich. Ich begleite die Gottesdienste, bediene die Tontechnik und die Powerpoint-Präsentationen, dekoriere, bin mit Gemeindemitgliedern in Kontakt und koordiniere die Belegungen der Liegenschaften. Beim Kinder-Weihnachtsmusical organisiere ich die Technik und bin in der Regie.

Mesmerinnen sind wahre Alleskönnerinnen?
Nein, alles muss man nicht können. Zu Beginn war Putzen wirklich nicht mein Hobby – inzwischen mache ich es aber sogar gern. Handwerklich bin ich auch nicht so geschickt.

 

«Mesmerinnen sind Gastgeberinnen. Das A und O sind Offenheit und der Draht zu den Menschen.»

 

Das überrascht. Gehört das nicht zum Einmaleins der Mesmerin?
Wir sind drei Mesmer in unserer Kirchgemeinde. Wir helfen einander aus. Steht handwerklich etwas an, frage ich meinen Kollegen. Wichtiger als handwerkliches Geschick ist als Mesmerin sowieso etwas anderes.

Nämlich?
Mesmerinnen sind Gastgeberinnen. Das A und O sind Offenheit und der Draht zu den Menschen. Man muss bereit sein, abends und am Wochenende zu arbeiten. Man hat auch mal längere Arbeitstage, wenn ein grosses Fest ansteht. Ist am nächsten Tag ein Gottesdienst, so muss in der Zwischenzeit aufgeräumt und geputzt werden. Als Mesmerin hat man aber auch viele Freiheiten und kann sich, seine Interessen und Fähigkeiten einbringen.

Wie ist das bei Ihnen?
Ich koche gerne. In unserer Gemeinde koche ich für den Mittagstisch, Seniorennachmittage und Kindertageslager, mache Apéros. 

Wer legt das Pflichtenheft einer Mesmerin fest?
Die Kirchenvorsteherschaft (Kivo). Der Sigristen-Verband stellt Kirchgemeinden Musterpflichtenhefte zur Verfügung, die auf die jeweilige Situation angepasst werden können.

In der Kivo gibt es gelentlich Wechsel. Führt es zu Konflikten, wenn eine neue Kivo neue Schwerpunkte setzt und das Pflichtenheft anpasst?
Manchmal schon. Wenn die Kivo sagt, du darfst keine Blumengestecke mehr machen, das macht jetzt eine Gärtnerei, dann ist das so. Bei uns in Straubenzell war das nie ein Problem, war haben immer gut zusammengearbeitet. Aber ich kenne Fälle –, ausserhalb des Kantons St. Gallen – wo der Mesmer gekündigt hat, nachdem er an kleinen Dingen «aufgehängt» wurde. Ein Kübel war nicht geleert, und dann machte man ein Riesentheater daraus.

Als Mesmerin ist man für alles Mögliche verantwortlich, muss stets verfügbar sein. Wie grenzt man sich ab?
Ich persönlich habe kein Problem damit. Ich habe keinen Partner, meine Kinder sind schon erwachsen. Mesmerin zu sein ist für mich nicht irgendein Job, es ist meine Berufung! «Lasst uns nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit», lautete schon mein Konf-Spruch. Aber natürlich sind nicht alle Mesmerinnen in der gleichen Situation. Wichtig ist, dass man die Work-Life-Balance nicht verliert.

Jugendarbeiter, Pfarrerinnen und Sozialdiakone haben in der Kantonalkirche Arbeitsstellen, die sie unterstützen. Mesmer nicht. Fehlt in der Kantonalkirche die Lobby?
Für uns gibt es zwar keine Arbeitsstelle, dafür haben wir persönliche Kontakte. Zum Kirchenratsschreiber, zum Zentralkassier und zum Kirchenratspräsidenten. Sie haben immer ein offenes Ohr. Die Zusammenarbeit mit der Kantonalkirche ist ausgezeichnet.

Wie wird man Mesmerin?
Es gibt keine Berufsausbildung. Mesmerinnen kommen aus allen möglichen Berufen. Wichtig ist, dass man das Gastgebergen in sich trägt, gerne Menschen willkommen heisst und sich mit der Kirche identifiziert. Man muss Verantwortung übernehmen und organisieren können. Der Rest ist «learning by doing».

 

«Bezieht uns Mesmer ein. Wir haben viel Erfahrung. Nutzt das!»

 

Und es gibt Kurse des Sigristen-Verbandes.
Ja, wir bieten einen Grundschulungskurs an. Er dauert eine Woche und gibt einen Überblick über das Tätigkeitsfeld. Ich empfehle aber, ihn nicht ganz zu Beginn der Tätigkeit zu machen, sondern zuerst Erfahrungen zu sammeln und dann mit vielen Fragen zum Kurs zu kommen. Wir organisieren auch Weiterbildungen zu Themen wie Brandschutz, Theologie, Technik, Erster Hilfe, Umgang mit Trauernden, Mobbingprävention und vielem mehr.

Man könnte auch vermehrt Hauswartinnen – Fachfrauen Betriebsunterhalt – einstellen.
Mesmerin und Hauswartin ist ein Unterschied. Natürlich gibt es Hauswarte, die begnadete Gastgeber sind und sich mit der Kirche identifizieren, das ist toll. Wenn Leute aber einfach «nur» als Hauswarte angestellt werden und die Liegenschaften bewirtschaften, ist das nicht gut. Wissen Sie, wie man die Identifikation des Mesmers mit der Kirche kaputtmacht?

Wie?
Man nimmt ihm das Putzen weg und vergibt es extern. Als Mesmerin fühle ich mich dem Haus verbunden. Wenn ich sehe: «Oha, die Fenster sind schmutzig!», dann putze ich sie. Ein Putzinstitut macht das einfach zweimal im Jahr, wie es im Vertrag steht – egal, wie die Fenster zwischendurch aussehen. In der Stadt Zürich haben die Kirchgemeinden fusioniert zu einer einzigen Kirchgemeinde mit mehr als 40 Kirchen. Putzt der Mesmer nicht mehr «seine» Kirche, so schwindet die Identifikation mit dem Gebäude.

2017 hat eine Befragung in der St. Galler Kirche ergeben, dass Mesmer zu den Berufsgruppen gehören, die sich am stärksten mit der Kirche identifizieren. Hat Sie das überrascht?
Nein. Mesmer und Organisten sind oft diejenigen, die am längsten in einer Kirchgemeinde tätig sind. Die Kivo wechselt, und auch viele Pfarrerinnen suchen nach 8 – 12 Jahren eine neue Stelle. Der Mesmer aber bleibt, man kennt ihn, er ist nahe bei den Menschen.

Er ist am Puls des Gemeindelebens.
Absolut. Ich sage immer: «Bezieht uns Mesmer ein. Wir haben viel Erfahrung. Nutzt das!»

Wie zum Beispiel?
In einer Kirchgemeinde hat man einst aufgehört, jeden Sonntag in jeder Kirche einen Gottesdienst anzubieten. Man hat das Angebot gebündelt. Die Mesmerinnen und Mesmer haben das aber erst zusammen mit der Gemeinde erfahren. Sofort wurden sie von Gemeindemitgliedern mit Fragen bestürmt, hatten aber selbst keine Informationen. Das war eine blöde Situation, denn Mesmerinnen und Mesmer sind immer an vorderster Front. Je mehr man sie einbezieht, desto besser vertreten sie die Kirche gegen aussen.

Interview: Stefan Degen | Foto: zVg – Kirchenbote SG, Mai 2022

 

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