«Mama, du brauchst noch Platz für ein Tattoo von mir»
Sie ist voller Tätowierungen, und jede einzelne hat für Patrizia Roth eine Bedeutung. Ihre Haut erzählt von Stationen ihres Lebens.
In Winterkleidung sieht man Patrizia Roth nichts an. Dabei ist der Körper der St. Gallerin voller Tätowierungen: der Arm, der Rücken, die Beine. Einzig ein kleines Tattoo am Finger ist sichtbar: Es ist ein tätowierter Ring.
Mit 18 ins Tattoo-Studio
Tätowierungen faszinierten Roth von klein auf. «Schon mit 15 Jahren wollte ich ein Tattoo, aber meine Eltern erlaubten es mir nicht», erzählt sie. An ihrem 18. Geburtstag ging sie dann ins Tattoo-Studio. «Meine Mutter ging von einem unscheinbaren Tattoo aus. Dann kam ich mit einer grossflächigen Tätowierung nach Hause.» Da sei die Mutter schon etwas erschrocken.
Uhren und Tränen
Mit ihren Tätowierungen verarbeitet Roth ihre Lebensgeschichte: «Wenn ich etwas Einschneidendes erlebte oder eine wichtige Phase abschloss, so habe ich dieses Stück Leben auf meine Haut gebracht.» So auf ihrem rechten Arm. Darauf sind die Geburtszeiten ihrer drei Kinder abgebildet, mit Zifferblatt und Zeiger. Dazwischen sind Gesichter, eines mit Tränen. «Ich habe in einem Jahr fünf Menschen verloren», erläutert Roth. Das Gesicht mit den Tränen habe ihr geholfen, das zu verarbeiten.
Tätowierung wird übermalt
Roth bereut keine einzige Tätowierung. Eine Elfe will sie aber ĂĽbermalen lassen. Nicht, weil sie das Motiv bereut, sondern weil die Farbe nicht mehr schön ist. Eine Freundin hat die Elfe gestochen, zu Beginn ihrer Ausbildung als Tätowiererin, quasi als Ăśbungsobjekt.Â
Kinder suchten Motiv aus
Roth träumt davon, Soziale Arbeit zu studieren. Doch im Moment liegt das für die alleinerziehende Mutter dreier Kinder nicht drin. Seit fünf Jahren arbeitet die gelernte Kauffrau bei der Arbeitsstelle Familien und Kinder der St. Galler Kirche. Ihre Kinder waren im Tattoo-Studio auch schon dabei. Sie durften ein Motiv aussuchen, das nun Roths Bein ziert. Und die neunjährige Tochter hat bereits einen Berufswunsch: Tätowiererin. Deshalb schärft sie ihrer Mutter ein: «Mama, du brauchst dann noch Platz für ein Tattoo von mir.»
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Text | Foto: Stefan Degen  – Kirchenbote SG, Februar 2020
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«Mama, du brauchst noch Platz für ein Tattoo von mir»