News aus dem Kanton St. Gallen

Licht und Schatten

von Reinhold Hönle, Journalist, Baden
min
24.04.2024
Die blinde Sängerin und Theologin Bernarda Brunovic findet in der Musik Erfüllung. Auch wenn manche Frage unbeantwortet bleibt, schöpft sie aus dem Glauben Kraft.

Mit 17 Jahren stand Bernarda erstmals im Rampenlicht, als sie 2010 bei der Schweizer Ausscheidung des Eurovision Song Contest (ESC) ihren Song «Confidence» vortrug. Autobiografischer hätte er nicht sein können, ist es doch eine grosse Herausforderung, angesichts ihres Schicksals Vertrauen zu entwickeln. Die Dietikerin kam ohne Augenlicht auf die Welt und erlangte das Sehvermögen auch nach 33 Operationen nicht. Bei einem ärztlichen Kunstfehler wurde ihr linkes Auge sogar so schwer verletzt, dass es durch eine Glasprothese ersetzt werden musste. 

Schwimmen und Skifahren

Bernarda hadert damit nicht, sondern hofft auf ein Wunder oder, dass ihr eines Tages Wissenschaften wie Neurologie, Augenmedizin oder Stammzellenforschung das Sehen ermöglichen. Sie selbst bezeichnet sich nicht als beeinträchtigt, handicapiert oder behindert, sondern verwendet möglichst positive Ausdrücke. 

«Mein Gott, weshalb gerade ich?», stellt sich Bernarda immer wieder die Frage.

«Natürlich ist es kein optimaler oder vorteilhafter Zustand, aber mein Leben ist trotzdem lebenswert.» Ihre vielseitigen Begabungen und ihre Kämpferinnennatur haben daran einen wesentlichen Anteil. Ihr wurde gesagt, sie würde weder Schwimmen noch Skifahren lernen oder das Gymnasium schaffen. Aber es ist ihr gelungen. Und ihr Philosophie- und Theologiestudium hat sie mit dem Master abgeschlossen. 

Nicht aufs Blindsein reduzieren

«Ich will mich nicht einschränken lassen und schon gar nicht mit weniger zufrieden geben», sagt die Seconda. Die Sängerin mit der beeindruckenden Soulstimme lehnt es vehement ab, auf ihr Blindsein reduziert zu werden. «Stevie Wonder ist auch nicht deswegen zur Legende geworden, sondern wegen seines enormen Talents und was er daraus gemacht hat.» Wie der 74-jährige Amerikaner liebt die 31-Jährige Gospel, Blues, Funk und R&B. Der erste Song, zu dem sie enthusiastisch tanzte, war allerdings Captain Jacks Eurodance-Hit «Drill Instructor» – als Dreijährige.

«Wenn die Sonne stark scheint, sehe ich grosse Farbflächen, sonst ist alles nur grau und fleckig», sagt Bernarda Brunovic. Foto: Reinhold Hönle

«Wenn die Sonne stark scheint, sehe ich grosse Farbflächen, sonst ist alles nur grau und fleckig», sagt Bernarda Brunovic. Foto: Reinhold Hönle

Bernardas Initialisierung als Sängerin erfolgte in der Kirche, wo ihre Stimme schon früh unüberhörbar war. Sie ist neben der Familie – ihre Eltern, bei denen sie wohnt, und ihre ältere Schwester Manuela, die ihr auch als Managerin zur Seite steht – ihr wichtigster Kraftort. «Der Glauben prägt und bereichert mein ganzes Denken und Fühlen», erklärt Bernarda. Ungeachtet dieser Wertschätzung stellt sie immer mal wieder die Frage: Mein Gott, weshalb gerade ich?

Die Antwort kennt sie nicht. Die gibt es wohl auch nicht. Als Theologin ist sie sich dessen bewusst und sieht in ihrem Leben lieber nach vorne, sucht das Licht und die Farben im übertragenen Sinn, aber nicht nur. «Wenn die Sonne stark scheint, sehe ich grosse Farbflächen, sonst ist alles nur grau und fleckig. Mehr sorgen jedoch das Musikmachen und andere positive Lebenserfahrungen dafür, dass das Gute, Wahre und Schöne für mich greifbar wird.»

Im Halbfinal von «Voice of Germany»

Einem breiteren Publikum bekannt wurde Bernarda, als sie 2018 mit Michael Patrick Kelly als Coach ins Halbfinale der prestigeträchtigen Castingshow «The Voice Of Germany» vorstiess. 2020 schrieb sie das Lied «All of My Love», mit dem die Nachwuchskünstlerin Destiny Chukunyere Malta am ESC vertrat. Und jetzt steht die Veröffentlichung von Bernardas erster EP bevor. «Das ist mein Ding, und sie gehört mir», schwärmt sie. «Ich war mit meinen Ideen vom Anfang bis zum Ende in die Produktion der drei Songs involviert und freue mich riesig über das Resultat.»

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