Leserfrage: Nie sind wir verletzbarer, als wenn wir lieben
Unsere Kolumne zu alltäglichen Lebensfragen. Haben Sie Fragen? Schreiben Sie Ihr Anliegen an die Redaktion, wir werden es gerne weiterleiten. redaktion@kirchenbote.ch
Lieber P.,
Sie schreiben, dass Sie schon lange merken, dass etwas nicht stimmt. Damit nehmen Sie Signale wahr, die wir oft übersehen. Häufig wird die gegenseitige Anziehung nach und nach schleichend unterbrochen oder geht verloren durch ständige kleinere Verletzungen und Enttäuschungen. In einer Liebesbeziehung können wir so in einen Teufelskreis von Anklagen und Vorwürfen, Verteidigungshaltungen und Rückzug geraten. Bei vielen Paaren fehlt es in der Folge an Nähe und Verbundenheit, an Akzeptanz, Empathie und Wertschätzung.
Oft fühlt sich die eine dann nicht unterstützt, der andere bewertet, klein und wertlos. Oder der eine fühlt sich zurückgewiesen, die andere missachtet. Aus Angst, nicht zu genügen, haben Sie sich vielleicht – ohne es zu wollen – von Ihrer Frau abgewendet, mit der Folge, dass Ihre Frau sich vielleicht nicht mehr genügend gehört oder gesehen gefühlt hat und dann nicht mehr so Lust auf Zärtlichkeit und Sex mit Ihnen hatte. Wie auch immer. Es ist das Augenmerk auf die unerfüllten emotionalen Bedürfnisse beider Partner zu richten.
Wenn wir als Paar in einen Teufelskreis von Verletzungen und Enttäuschungen geraten sind, verschliessen wir unsere verletzlichsten und zugleich schönsten Gefühle, um uns vor weiteren Verletzungen zu schützen. Wir kommen dann nur schwer von alleine da raus. Es ist keine gute Idee, nach einem Seitensprung zu schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen und die Signale unbeachtet zu lassen, die dazu geführt haben. Nach einer Affäre müssen sich beide – aber wahrscheinlich Ihre Frau zuerst – neu für die Beziehung entscheiden.
Damit Sie wieder zueinander finden und Spass und Zärtlichkeit füreinander entwickeln können, müssen Sie Ihre Verletzung und Wut zum Ausdruck bringen, ebenso Ihre Angst, ihr nicht mehr zu genügen. Ihre Frau muss erkennen, was sie Ihnen angetan hat, und sich emotional glaubhaft entschuldigen, ihr Bedauern darüber ausdrücken, damit Sie ihr vergeben können. Es braucht Mut, sich verletzlich zu zeigen und die eigenen unerfüllten Bedürfnisse der Partnerin zu zeigen. Zur Heilung braucht es genau das, dass – vielleicht mit fachlicher Hilfe – zum Ausdruck gebracht werden kann, was Ihnen zuvor gefehlt hat und Sie sich so sehr wünschen. Wenn Ihnen das gelingt, war die Affäre eine Krise, die Sie als Chance gepackt haben.
Leserfrage: Nie sind wir verletzbarer, als wenn wir lieben