Leben trotz schwieriger Umstände
Zwei Frauen sitzen an einem Tisch im öffentlichen Bistro des Papierhofs und lernen Deutsch. Eine Mutter mit zwei Kindern kommt auf einen Kaffee vorbei. Diakonin Waltraud Eggenberger und ihr Team begrüssen Gäste und setzen sich mit einem offenen Ohr für die Sorgen der Menschen mitten in den modern eingerichteten Raum. «Seit wir hier sind, kommen viel mehr Menschen gezielt bei mir vorbei und fragen um Hilfe», erzählt sie.
Einen trinken, zwei bezahlen
Das Bistro ist das Herzstück. Hier stehen Nächstenliebe und Solidarität genauso im Vordergrund wie der Genuss. Wer möchte, kann einen Kaffee trinken und einen zweiten spenden. Finanziell Benachteiligte geniessen das Angebot mit der Gold-Karte zum halben Preis. Am langen Tisch ist am Dienstagnachmittag Treffpunkt. Rund ein Dutzend Menschen in schwierigen Lebenssituationen tauschen sich aus. Es sind vorwiegend Frauen verschiedener Kulturen. «Wir fühlen uns wohl, spielen gemeinsam, sprechen und basteln. Und mir wird bei schriftlichen Angelegenheiten weitergeholfen», erzählt Ceylin* aus Syrien.
Hunger und Not bekämpfen
Eine der Visionen des Papierhofs ist, Hunger zu bekämpfen. Olexandr und Andrij*, Vater und Sohn aus der Ukraine, helfen mit, wenn es am Donnerstag heisst, die Lebensmittelabgabe im Gemeinschaftsraum aufzubauen und Menschen in wirtschaftlichen Notlagen beim Einkauf zu begleiten. Symbolisch zahlen diese für ihre Besorgungen einen Franken. Die Warenempfänger sind über das Jahr gesehen wöchentlich rund 400 Menschen, mehrheitlich Migranten, Asylsuchende und seit Corona auch vermehrt Personen aus der Schweiz.
Im Mittelgeschoss des Hauses wurden sechs Zimmer für ein teilbegleitetes Wohnen genutzt. Doch Vandalismus, Streitigkeiten unter Bewohnern und Probleme mit Sucht überforderten die Betreuungskapazitäten. Nun wird das Angebot neu konzipiert, wie dem Newsletter des Diakonievereins Werdenberg zu entnehmen ist: Die Etage wird in Zukunft in Zusammenarbeit mit einer Sozialfirma für Notfallplatzierungen genutzt.
Ein herz für die Trauerarbeit
Gesprayte Bilder im obersten Stockwerk zeugen von Gefühlen und Trauer von neun Kindern der Trauergruppe. «Hier kann ich über Dinge sprechen, die ich sonst nirgends sagen kann und erhalte Hilfe, um mit der Trauer zurechtzukommen», erzählt der zehnjährige Noel*. Er besucht die Kindertrauergruppe, da ein Familienmitglied starb, dem er sehr nahe verbunden war.
Eggenberger mag all ihre Wirkungskreise. Doch für die Trauerarbeit schlägt ihr Herz besonders. «Dass mir diese Arbeit einmal so viel Freude machen würde, hätte ich vor 20 Jahren nicht gedacht. Trauer ist ein Weg, den man gehen muss, und es gibt nur einen Weg: den hindurch», ist sie überzeugt. Das Fundament ihrer Trauerarbeit ist ihre eigene Geschichte: Die Mutter von vier Kindern wurde jung Witwe.
15 Angestellte und 80 Freiwillige
Bei einem Mittagessen im Bistro lernte Waltraud Eggenberger Maria* kennen. Heute ist sie eine von rund 80 Freiwilligen. «Das sind Glücksmomente, wenn wir Menschen finden, die mithelfen», so die Diakonin. Freiwilligenarbeit ist neben den Finanzen eine der grossen Herausforderungen des Diakonievereins Werdenberg. Bis 2023 zählte dieser zwei Angestellte. Jetzt sind es 15. Die Fluktuation ist gross. Hätte Eggenberger einen Wunsch frei, wäre es mehr Konstanz bei den Mitarbeitenden und noch mehr freiwillige Helferinnen und Helfer.
Das Leben im Papierhof ist vielschichtig. Traurige, fröhliche und hoffnungsvolle, bestärkende Momente wechseln sich ab, oder wie es Waltraud Eggenberger sagt: «Wenn ich sehe, wie Leben trotz schwieriger Umstände gelingt, finde ich das grossartig.»
*Namen geändert
Leben trotz schwieriger Umstände