News aus dem Kanton St. Gallen

Latino-Groove bei den Reformierten

von Stefan Degen
min
25.08.2023
Seit 16 Jahren feiern Latinas und Latinos in Jona zusammen Gottesdienst. Gemeinsam mit allen, die Freude an der spanischen Sprache haben. Der Encuentro en Español kommt an – auch bei Schweizern. Ein Modell für andere Kirchgemeinden?

«No me importa la iglesia donde vayas», singen sie, «si detrás del Calvario tú estás.» – «Es ist nicht wichtig, in welche Kirche du gehst, wenn du den Kreuzweg hinter dir hast.» Sie geben sich die Hand, während sie auf Spanisch weitersingen: «Wenn dein Herz wie meines ist, gib mir deine Hand und du wirst mein Bruder sein.»

Gemeinde in der Gemeinde

Es ist Sonntagnachmittag. Rund 30 Erwachsene und Kinder haben sich im Evangelisch-reformierten Kirchenzentrum zum Encuentro versammelt, dem spanischsprachigen Gottesdienst in Jona. Doch der Encuentro ist mehr als ein Gottesdienst. Er ist eine Gemeinde in der Gemeinde. Dazu gehören Seelsorge, Bibellektüre, Taufen und Hochzeiten. «Gelegentlich feiern wir auch einen zweisprachigen Gottesdienst am Sonntagmorgen, zusammen mit der übrigen Gemeinde», erzählt Pfarrerin Lisset Schmitt-Martinez, die den Encuentro leitet. Denn «Encuentro» bedeute «Begegnung»: «Begegnung mit Gott und Begegnung mit anderen Menschen.» Für viele sei der Encuentro auch ein Familienersatz, zumindest für den Teil der Familie, der weit weg sei.

Teilnehmerinnen des Encuentro mit Pfarrerin Lisset Schmitt-Martinez (2. v. r.) in Jona. Foto: sd

Teilnehmerinnen des Encuentro mit Pfarrerin Lisset Schmitt-Martinez (2. v. r.) in Jona. Foto: sd

Verbindendes Element von Encuentro ist die spanische Sprache. Die meisten Besucherinnen sind Latinas, Frauen aus Lateinamerika. «Es ist eine bunte Mischung aus Reformierten, Katholiken und Leuten aus Freikirchen», sagt Schmitt-Martinez. Fast jedes lateinamerikanische Land sei vertreten. «Es kommen aber auch Schweizerinnen und Schweizer», bemerkt sie. «Sie verstehen Spanisch und schätzen die spezielle Atmosphäre – die Art, wie wir Gottesdienst feiern.»

Diskussion während der Predigt

Was macht denn diese spezielle Atmosphäre aus? Es sei eine lockere Art, zu feiern, sagt Schmitt-Martinez, bei der nicht alles auf die Minute durchgetaktet sei. «Unser Gottesdienst beginnt offiziell um 17 Uhr, aber wir feiern, wenn die meisten Leute da sind. Jemand kommt immer zu spät.» Im Gottesdienst gibt es spontane Elemente: Wenn viele Kinder da sind, ruft die Pfarrerin sie kurzerhand nach vorne, um ein Lied zu singen. Oder sie wirft während der Predigt eine Frage in die Runde, welche die Besucherinnen dann mit der Nachbarin oder im Plenum diskutieren. Und bei den Fürbitten kann jeder Anliegen einbringen, der möchte.

Unsere Landeskirchen sind ruhig, organisiert und sauber. Da kann es zu Konflikten führen, wenn Kinder draussen rumrennen oder man im Haus riecht, dass gekocht und gegessen wurde.

Die Atmosphäre ist locker, aber der Gottesdienst ist reformiert. Pfarrerin Schmitt-Martinez ist in einer presbyterianischen Kirche in Kuba aufgewachsen und hat dort Theologie studiert. Über ein Austauschprogramm von Mission 21 lernte sie Cyril Schmitt kennen, ihren Mann. Dieser gründete Encuentro 2007 als angehender Pfarrer während seines Vikariats in Rapperswil-Jona mit Unterstützung des damaligen Pfarrers Bernhard Erni. 2010 übergab Schmitt die Leitung des Encuentro an seine Frau.

Spielende Kinder, duftendes essen

Neben dem Encuentro gibt es noch weitere Migrationskirchen in den Räumen der Kirchgemeinde Rapperswil-Jona: Die afrikanisch geprägte Assemblée de la Résurrection du Christ, wo mehrheitlich Französisch gesprochen wird, und die Äramäische Christengemeinde, deren Besucher aus der Türkei und Syrien stammen. Im Gegensatz zu Encuentro sind sie unabhängig von der reformierten Kirche, geniessen aber Gastrecht. Laut Pascal Bazzell von der Arbeitsstelle Weltweite Kirche sei das in einigen St. Galler Kirchgemeinden gang und gäbe. Zu Konflikten komme es deswegen selten. Und wenn, dann beträfen sie kaum je theologische Streitfragen. «Brennpunkte sind eher kulturelle Unterschiede», erläutert Bazzell. «Unsere Landeskirchen sind ruhig, organisiert und sauber.» Da könne es zu Konflikten führen, wenn Kinder draussen rumrennen oder man im Haus rieche, dass gekocht und gegessen wurde.

Freiwillige müssen mitziehen

Rund 40 Migrationskirchen gebe es im Kanton St. Gallen, schätzt Bazzell. Dass eine Gemeinde Teil der reformierten Kirche ist, wie der Encuentro, ist eine Ausnahme. Könnte dieses Modell auch in anderen Kirchgemeinden funktionieren? «Warum nicht?», findet Lisset Schmitt-Martinez. Wichtig sei, dass es schon zu Beginn drei, vier Leute gebe, die Interesse hätten und mitzögen. «Wenn man die Freiwilligen einbezieht, klappt das schon.» 

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