Konfession? Egal!
Wer in ihrer Gemeinde reformiert und wer katholisch ist, ist Andrea Weinhold und Matthias Wenk egal. Das gilt auch bei der Taufe. So hat der katholische Seelsorger schon reformierte Kinder getauft und die reformierte Pfarrerin katholische. Geht das denn überhaupt? «Offiziell nicht», schmunzelt Matthias Wenk vielsagend.
In der ökumenischen Gemeinde Halden in St. Gallen ist vieles anders. Und vieles entspannter. Die über 40-jährige Kirche ist eine der ältesten ökumenischen Gemeinden der Schweiz. Als die katholische und die reformierte Gemeinde gleich nebeneinander Land für neue Kirchen kauften, war es naheliegend, zusammenzuspannen. Heute steht die Kirche genau in der Mitte: halb auf evangelischem, halb auf katholischem Boden.
«Landsgemeinde» stellt Weichen
Autonom ist die Haldenkirche nicht. Sie gehört zur reformierten Kirchgemeinde Tablat und zur katholischen Kirchgemeinde St. Gallen. Die Verwaltung übernimmt die katholische Kirchgemeinde, die Kosten tragen beide Konfessionen zu gleichen Teilen. «Das Konstrukt erfordert enge Zusammenarbeit», sagt Weinhold, da man stets darauf achten müsse, dass alle informiert seien und sich niemand übergangen fühle.
Das wichtigste Organ der Haldenkirche hat aber gar keine formellen Kompetenzen. Es ist das Haldenforum – eine Art Landsgemeinde –, das alle ein bis zwei Jahre stattfindet und an dem alle teilnehmen dürfen, die sich der Halden zugehörig fühlen. «Dort werden wichtige Fragen diskutiert und Weichen gestellt», sagt Wenk. «Das Haldenforum hat Gewicht, weil wir es ernst nehmen und die Beschlüsse respektieren.» So habe es 2013 entschieden, nur noch ökumenische Gottesdienste zu feiern.
Das betrifft auch das Abendmahl. «Das gemeinsame Mahl ist für uns kein Problem, sondern eine Bereicherung», stellt Wenk klar. Weinhold ergänzt: «Für die Menschen an der Basis ist es eine Freude, gemeinsam das Abendmahl zu feiern. ‹Wir haben ja den gleichen Gott›, sagen sie jeweils.»
Schüsse und schmierereien
Heute führt das kaum zu Konflikten. Das war aber nicht immer so. «Zur Zeit unserer Vorgänger gab es Schmierereien an den Wänden und gar Einschusslöcher im Dach», erzählt Matthias Wenk. «Sie deuteten dies als Unmutsbekundungen gegenüber dem liberalen Geist und der Befreiungstheologie, die hier gepflegt werden.» Solche Aktionen gebe es aber nicht mehr. «Heute weiss man, was man in der Halden zu erwarten hat. Wer das nicht sucht, geht in den Dom oder anderswo hin.»
In der Haldengemeinde kommt die Initiative von der Basis: Strickgruppen, Tanzveranstaltungen, Stille am Mittag, Jugendgruppe, Seniorenturnen, Nähkaffee, Chrabelgruppe – ständig läuft etwas in der Kirche. «Es sind Menschen aus dem Quartier, die auf uns zukommen und etwas auf die Beine stellen wollen», erklärt Matthias Wenk. «Wir unterstützen sie dann dabei.»
Beten mit Hindus, Sikhs und Muslimen
Seit einigen Jahren findet in der Kirche Halden ein interreligiöses Gebet statt. «Das ist für uns die logische Folge, Ökumene weitergedacht», erläutert Wenk. So beten Hindus, Sikhs, Muslime und Christen gemeinsam. Auch hier ist die Basis angesprochen. «Unser interreligiöses Gebet richtet sich nicht an die offiziellen Vertreter der Hierarchie, sondern an die Glaubenden. Sie gestalten zusammen ein Gebet», so Wenk.
Kennt die Haldenkirche denn gar keine Berührungsängste? Wären am interreligiösen Gebet auch Salafisten vom Islamischen Zentralrat oder die Organische Christus-Generation von Sektenguru Ivo Sasek willkommen? «Ja», sagt Wenk, «solange sie sich an die Regeln halten und den Anlass nicht für Propaganda missbrauchen.» Allerdings sei die Frage hypothetisch, da für solche Gruppierungen interreligiöses Gebet ein rotes Tuch sei. «Wie auch für viele Freikirchen», ergänzt Weinhold.
Gelegentlich kommen Delegationen aus dem In- und Ausland, um das «Modell Halden» anzuschauen und allenfalls zu übernehmen. Den Begriff «Vorzeigegemeinde» will Wenk aber nicht gelten lassen. «Ökumene sollte der Normalzustand sein. Sie ist Pflicht, keine Kür. Sonst verspielen wir jegliche gesellschaftliche Relevanz und Glaubwürdigkeit.»
Konfession? Egal!