News aus dem Kanton St. Gallen

Jeder Pfarrer ein kleiner Papst?

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19.05.2020
Pfarrerinnen und Pfarrer waren einst klassische Autoritätspersonen. Sie sollen führungsstark sein und die Gemeinde begeistern, sich aber gleichzeitig zurücknehmen und dienen – ein anspruchsvoller Spagat.

«Du und mächtig?» Dies die spontane Reaktion meiner Frau, als ich sie um ihre Meinung zum Thema bat. Da war ich natürlich gefordert und zählte gleich auf, weshalb ich meine, dass ich durchaus eine gewisse Macht habe, im Sinne von Vollmacht, Einfluss, Autorität und Ansehen. Im Vergleich zu früher mögen die Institution Kirche und das Pfarramt zwar an Vertrauen, Macht und Einfluss verloren haben. Aber ohne Macht stehen Pfarrerinnen und Pfarrer deshalb noch lange nicht da.

 

Es gibt viele Möglichkeiten, die Macht als Pfarrer, als Pfarrerin zu missbrauchen.

 

Ich erwähnte die Tatsache, dass ich im Gottesdienst predige und mir alle anderen freiwillig und durchaus andächtig zuhören. Dass mich Menschen in der Seelsorge aufsuchen und mir ihre Lebensgeschichte, ihre geheimsten Gedanken, Ängste und Sehnsüchte anvertrauen. Und als Dekan bin ich für Kirchenvorsteherschaften und Angestellte im Kirchenbezirk erste Ansprechperson. Die Liste liesse sich erweitern. All diese Macht wurde mir durch die Ordination, die Pfarrwahl und die Amtseinsetzung anvertraut und zugesprochen – von der Gesellschaft, der Kirche, von Gott.

Mächtig ist letzlich nur einer
Ich bin dankbar für diese Macht, dieses Vertrauen. Sie stärkt mir den Rücken, auch einmal Unpopuläres zu tun oder zu äussern. Sie schenkt mir den nötigen Freiraum, meinen Beruf kreativ und losgelöst von zu vielen Sachzwängen auszuüben. Dennoch begreife ich meine Macht nicht als Freipass. Denn als Pfarrer stehe ich in der Nachfolge der biblischen «Diener Gottes». Wie meinen Vorgängern, ist mir die (Voll-)Macht nur anvertraut. Meine Macht ist geliehen und begrenzt. Mächtig ist letztlich nur einer – Gott (Ps 62,12; Hi 40,2). Daher soll und darf ich mich in meiner Macht immer nur «wie der Ton in der Hand des Töpfers» verstehen (Jes 29,16). 

Wie der Ton in der Hand des Töpfers – das bedeutet auch, die Macht nicht zu missbrauchen. Missbrauch ist dort im Spiel, wo ich mich in der Kirchgemeinde wie ein kleiner König aufspiele, der keinen Widerspruch duldet. Oder wo ich mich in der Kirchenvorsteherschaft über das partnerschaftliche Gemeindeleitungskonzept hinwegsetze. Oder im Pfarrteam die andern klein- und schlechtrede. Ich missbrauche auch meine Macht, wenn ich in der Seelsorge Abhängigkeiten schaffe, übergriffig werde. Es gibt viele Möglichkeiten, die mir anvertraute Macht zu missbrauchen; der Hang zur Selbstdarstellung und Profilierungssucht gehört dazu. Immer dann, wenn ich meine Macht missbrauche, verkenne ich die Tatsache, dass Gott alle Menschen ermächtigt hat, jedem und jeder eine gewisse Macht anvertraut hat.

Zum Glück darf ich mich aber auch wie der Ton in der Hand des Töpfers verstehen und mich in meiner Ohnmacht getrost an den Töpfer-Schöpfer-Gott wenden, wenn mir einmal etwas gar nicht gelingen will.

Doppelrolle verlangt Spagat
Das richtige Mass zu finden im Umgang mit der Macht scheint mir für Pfarrer und Pfarrerinnen echt schwierig. Das hat wohl mit der spannungsreichen Doppelrolle zu tun, die sie einnehmen. So wird verlangt, dass sie Führungsstärke an den Tag legen und fähig sind, die Gemeinde zu begeistern und zu führen. Gleichzeitig wird von ihnen aber auch erwartet, dass sie bescheiden, geduldig, dienend, verzeihend, moralisch vorbildlich und sich selbst stets zurücknehmend auftreten. Eine grosse, auch geistliche Herausforderung.

Text: Pius Helfenstein, Pfarrer und Dekan, Rorschach | Bild: Daniel Lienhard, Illustrator – Kirchenbote SG, Juni-Juli 2020

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