News aus dem Kanton St. Gallen

«Jede Gruppe hat ihren Stallgeruch»

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04.02.2022
Rund zwanzig Kleingruppen sind auf der Website der Kirchgemeinde Wil aufgeschaltet. Das sind aber längst nicht alle. Und es werden immer mehr. Was ist das Geheimnis hinter dem Wiler Erfolg? Ein Augenschein vor Ort.

Junge Menschen sitzen an einem kalten Januarabend um den Stubentisch. Die Stimmung ist vertraut. Tee und Kuchen werden gereicht, man plaudert, man lacht, man kennt sich. Wie ist es Markus* in seinen letzten Tagen am Arbeitsort ergangen? Ist Lydia* nervös auf ihre Prüfung? Und natürlich die Frage der Stunde: Kleingruppentreffen heute mit oder ohne Maske?

Es darf auch mal «in die Hose gehen»

Die sieben jungen Erwachsenen – der achte ist gerade verhindert – sind eine Kleingruppe der Kirchgemeinde Wil. Eine von vielen. Und es werden mehr: «Acht neue Gruppen sind am Entstehen», weiss Sozialdiakon Thomas Gugger, der die Wiler Kleingruppen seit über dreissig Jahren koordiniert. Darunter auch neue Formen: eine Joggingruppe etwa oder eine Malgruppe. «Wir möchten Leute mit breitem Interesse ansprechen», erläutert Gugger, «und experimentieren mit neuen Formen – mit dem Risiko, dass auch mal ‹etwas in die Hose geht›.»

 

«Die breite Bevölkerung ist vertreten, vom ‹Büezer› bis zur Akademikerin, von der 14-jährigen Schülerin bis zum 99-jährigen Senior.»

 

Nachdem die Maskenfrage geklärt ist, geht es in der Gruppe der jungen Erwachsenen zur Sache. Claudia*, heute Gastgeberin, spricht ein Gebet und führt ins Thema ein. Es geht um das Unservater, genauer gesagt um die Bitte: «Dein Name werde geheiligt.» Ein Begleitheft listet Fragen auf: «Was könnte das Gegenteil von etwas Heiligem sein? Gibt es für dich heilige Orte, heilige Riten, heilige Menschen? Was bedeutet dir dein Name?»

Das Begleitheft wird von Thomas Gugger zur Verfügung gestellt. «Wir haben einen breiten Fundus an Materialien», erzählt er. Ob die Kleingruppen darauf zurückgreifen, ist aber ihnen überlassen – die einzelnen Gruppen organisieren sich weitgehend selbst. Macht er sich Sorgen, dass eine ein Eigenleben entwickelt und in eine bestimmte Richtung abdriftet? Gugger verneint. Natürlich gebe es unterschiedliche theologische Strömungen. Jede Gruppe habe ihren Stallgeruch. «Aber wir leben aus der Vielfalt in der Einheit, unter dem Leitbild, das wir uns gegeben haben. Das ist ein breites Dach.»

Kaum Abschliessende Antworten

Das Gespräch im Hauskreis hat sich weiterentwickelt und hat sich von den Fragen im Begleitheft gelöst. «Wie ist es zu erklären, dass Gott Böses zulässt, wenn er heilig ist?», fragt Markus in die Runde. «Manche Theologen sind der Ansicht, dass Gott uns braucht», versucht Sabina* eine Antwort. «Vielleicht bedeutet es ja auch, dass wir erkennen sollen, dass Gottes Name heilig ist und dass er gerade dadurch geheiligt werden soll?» So geht das Gespräch hin und her. Viele Fragen bleiben offen, abschliessende Antworten gibt es kaum. Manche sprechen mehr, andere weniger. Hemmungen, sich zu äussern, scheint aber niemand zu haben. 

Den Glauben im Alltag Leben

«In Kleingruppen sind nur die Frommen», ist ein oft gehörtes Vorurteil. «Wenn mit ‹fromm› gemeint ist, dass der Glaube im Alltag Bedeutung hat, dann ist das richtig», meint Gugger. Wenn mit «fromm» aber gemeint sei, dass man sich für besser oder gläubiger halte, dann sei es falsch. Denn die Klientel sei vielfältig. «Die breite Bevölkerung ist vertreten, vom ‹Büezer› bis zur Akademikerin, von der 14-jährigen Schülerin bis zum 99-jährigen Senior.» Die Wiler Kleingruppen kommen offensichtlich gut an. Was ist das Erfolgsrezept? «Mut haben zum Ausprobieren», rät Thomas Gugger, «und ja nicht in Konzepten stecken bleiben.» Sinnvoll sei es, mit zeitlich befristeten Angeboten zu starten. Und vor allem: «Gut schauen, mit welchen Leuten man es zu tun hat. Genau zuhören, was die Menschen in der Gemeinde brauchen.» Das sei vielversprechender, als Konzepte zu kopieren. 

Die Diskussion über das Unservater in Claudias Stube ist mittlerweile zu Ende. Die Gruppe tauscht Gebetsanliegen aus. Markus sucht eine neue Stelle. Noëmi* erliegt oft dem Suchtpotenzial von Serien, sodass das Lernen zu kurz kommt. Sabina weiss nicht, wie sie ihr Geburtstagsfest gestalten soll, ohne Ungeimpfte auszuschliessen. Nach dem Gebet bleibt man sitzen und plaudert, bevor es wieder rausgeht in Kälte und Dunkelheit.

*Namen geändert

Infos zu den Kleingruppen in Wil: ref-wil.ch/kleingruppen

Text: Stefan Degen | Foto: Pixabay – Kirchenbote SG, Februar 2022

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