Hüppi zwischen Hysterie und Euphorie
«Obwohl ich schon fast vier Jahrzehnte beim Schweizer Fernsehen arbeitete, dachte ich nicht über eine Pensionierung nach, sondern überlegte, ob ich eine neue Herausforderung annehmen und durchstarten würde, wenn mir nochmals etwas ähnlich Spannendes angeboten würde», erzählt Matthias Hüppi. Der 62-Jährige ahnte nicht, dass es sogar noch spannender würde, hauptberuflich Präsident des FC St. Gallen zu sein. Damals konnte das auch niemand ahnen.
Pandemie gegen Tabellenleader
Genau wie zum Zeitpunkt des «Kirchenbote»-Interviews niemand wusste, ob das Coronavirus und der Bundesrat es erlauben werden, dass die Super-League-Saison 2019/20 zu Ende gespielt wird. So hat Hüppi während des Lockdowns mehr und nicht weniger Arbeit. «Ich bereite verschiedene Szenarien vor, um den Klub durch diese gefährliche Zeit steuern zu können, aber man kann nicht alles beeinflussen. Wir müssen akzeptieren, was verordnet wird.» Es ist ihm anzumerken, wie sehr es ihn schmerzen würde, wenn der Tabellenleader durch die Pandemie um die Früchte seiner Arbeit gebracht würde. «Der FC St. Gallen ist MEIN Klub. Mit ihm sind einige meiner schönsten Jugenderinnerungen verknüpft», schwärmt Hüppi. Mit seinem Vater besuchte er jedes Heimspiel auf dem legendären Espenmoos. Obwohl der Verein für ihn eine Herzensangelegenheit ist, hat er sein Amt erst nach reiflicher Überlegung und in Abstimmung mit seiner Familie übernommen. Ohne die Rückendeckung seiner Frau, die zum grössten Fan der Mannschaft geworden ist, und den Umzug von Zürich nach St. Gallen hätte er abgesagt. «Für die Umsetzung meines Konzepts war matchentscheidend, dass ich die Kompetenz erhielt, die vorherige sportliche Führung durch Personen zu ersetzen, welche die gleichen Ziele wie ich verfolgen.»
«Meine Frau ist reformiert, ich bin katholisch. Wir praktizieren die Ökumene aus vollster Überzeugung.»
Mit Sportchef Alain Sutter und Trainer Peter Zeidler ist Hüppi inzwischen schon durch dick und dünn gegangen. Nach einer Formkrise der Mannschaft, einigen verlorenen Spielen und dem frühen Ausscheiden im Cup hatte es anfänglich Kritik gehagelt. «Da es zum Fussballgeschäft gehört, dass sich jeder zum Trainer berufen fühlt, habe ich mich von diesem Gegenwind nicht von meinem Kurs abbringen lassen», verrät er schmunzelnd. «Und die Euphorie hatte den Unmut längst abgelöst, als wir auf Platz eins stehend von Corona gebremst wurden.»
Gemeinsam in den Gottesdienst
Hüppis Führungsstil orientiert sich nicht explizit an christlichen Werten, der Glaube spielt in seinem Leben aber sehr wohl eine Rolle. «Meine Frau ist reformiert, ich bin katholisch. Wir praktizieren die Ökumene aus vollster Überzeugung und gehen nie getrennt in den Gottesdienst, sondern entscheiden uns für die eine oder andere Kirche.» Solange die Gebete für den dritten Meistertitel des FC St. Gallen noch nicht erhört worden sind, können Fans sich auf der Homepage das Video anschauen, das Hüppi vor 20 Jahren im Auftrag des Klubs aus den Jubelbildern im Jahr 2000 zusammengeschnitten hat.
Text: Reinhold Hönle, Journalist BR, Baden | Foto: pd – Kirchenbote SG, Juni-Juli 2020
Hüppi zwischen Hysterie und Euphorie