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Hire and Fire wie bei Donald Trump

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22.04.2020
Ein Gleichnis, drei Interpretationen: Kabarettist Gabriel Vetter, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Pfarrerin Michal Maurer deuten das Gleichnis von den anvertrauten Talenten.

Drei Männer verwalten fremdes Geld. Zwei investieren es, haben Glück und fahren eine hohe Rendite ein. Der Dritte spielt auf Nummer sicher und vergräbt es. Dafür wird er bestraft. Was bedeutet dieses Gleichnis?

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Gabriel Vetter, Kabarettist

Beim Lesen von Bibeltexten verfällt man als theologischer Zivilist schnell in den altbekannten Feuilletonisten-Duktus, man steht also verloren vor einer solchen Textstelle, liest sie und fragt sich: Was will uns der Künstler damit sagen? Das wäre auch hier verlockend. Man könnte darüber diskutieren, ob mit den Talenten einfach Geld, also Macht gemeint ist, ob damit tatsächlich «Talent» nach dem heutigen Wortsinn gemeint sein könnte, oder ob es nicht doch um etwas ganz anderes geht, nämlich um den Glauben zum Beispiel, um Vertrauen. Wie man es auch dreht und wendet: Exakt in dem Moment, in dem man sich anschickt, das Gleichnis zu entziffern, und darüber streitet, ob es hierbei um Eigenverantwortung geht oder doch um das Überwinden von Angst, akzeptiert man die Textstelle als Tatsache, also als gegeben.

Die ganze Talent-Verteil-Aktion kommt für mich daher, wie einer dieser absurden Bewerbungstests, die  US-Präsident Trump ab und an veranstaltet.

Ich, als zahlender, aber lediglich folkloristischer Katholik, als literaturkritischer Leser, aber nicht zuletzt als Mensch, ich nehme dieses Gleichnis gerne zum Anlass, keinen der obigen Ansätze zu verfolgen, sondern die Prämissen dieses Textes zu hinterfragen und mich zu weigern, die Hierarchien dieses Textes einfach zu akzeptieren. Zum Beispiel interessiert mich: Wer ist eigentlich dieser Herr? Warum ist er Herr und warum nicht Knecht? Wer sind diese Knechte? Woher kommen sie? Und wie kam es dazu, dass der Herr Knechte hält, über deren Fähigkeiten er offenbar so nonchalant zu urteilen sich imstande sieht? Warum geht er ausser Landes, statt selber nach seinen Talenten zu schauen? Und woher stammt eigentlich diese seltsamen Angewohnheit von Herren, ihre Knechte regelmässig solch kryptischen Rätselraten-Powergames auszusetzen? Die ganze Talent-Verteil-Aktion kommt für mich ein bisschen daher, wie einer dieser absurden Bewerbungstests, die der US-Präsident Trump ab und an veranstaltet, um sein Gefolge qua Zuckerbrot und Peitsche bei ängstlicher Laune zu halten. Ich möchte mich bei diesem Gleichnis also nicht fragen, was uns der Künstler damit sagen will, sondern viel eher: Warum ist das für uns Kunst?

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Tovia Ben-Chorin, Rabbiner

Jüdischen Lesern ist die Gattung der Gleichnisse vertraut. Sie kennen sie aus den Predigten der Pharisäer, die in den Midraschtexten erhalten sind. Jesus war Teil der pharisäischen Bewegung. Er gehörte zu ihrer inneren Opposition. Die jüdische Kultur baut ja bis heute auf Diskussionen und Disputen auf.

Wer ist «der Mensch, der ausser Landes ging»? Aus meiner Kenntnis der Gleichnisse Jesu und der jüdischen Weisen kann ich sagen: Gemeint ist Gott. Er gibt seinen Knechten durch seine Reise Gelegenheit, ökonomisches Geschick zu beweisen, ohne sie durch seine Gegenwart zu stören. In Lk 19,11 heisst es dazu, dass Jesus ihnen das Gleichnis erzählte, weil die Jünger meinten, «das Reich Gottes werde bald offenbar werden».

Wer sind die «Knechte»? Sie repräsentieren die Menschen. Wir erfahren von der ihnen anvertrauten Summe in absteigender Folge: fünf, drei, schliesslich ein Zentner Silber. Sie sind als Geschöpfe Gottes gleich, durch ihre angeborenen Begabungen aber ungleich. Jeder bekommt aber die freie Möglichkeit, seine Gaben zu entfalten.

Was lernen wir aus diesem Gleichnis? Alle sind aufgefordert, die gottgegebenen Gaben zu verwenden.

Wer ist der dritte «Knecht»? Er ist derjenige, der sein Potenzial nicht entfaltet, weil er von Anfang an kleingläubig ist. Er stellt sich Gott als unmoralischen Ausbeuter vor. Er wird bestraft und «hinaus in die Finsternis» geworfen, dort, wo man «heult und mit den Zähnen klappert». Dieser Ausdruck kommt auch in Mt 22,13 und in der «Kriegsrolle» vor, einem Text, den man in Qumran gefunden hat. Dort (1QM I, 8) ist von Erkenntnis und Gerechtigkeit die Rede, «die alle Enden des Erdkreises in immer hellerem Licht erleuchten, bis alle Zeiten der Finsternis zu Ende sind». Demnach ist die Strafe also zeitlich. Dem dritten Knecht wird am Ende vergeben.

Was lernen wir aus diesem Gleichnis? Alle sind aufgefordert, die gottgegebenen Gaben zu verwenden. Wenn wir aus Angst davor passiv werden, ist Strafe die Folge, aber diese Strafe findet nach dem Qumran-Text schliesslich ein Ende.

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Michal Maurer, angehende Pfarrerin

Das Gleichnis wirkt nicht gerade fair, wenn man bei Talenten wirklich an Geld denkt. Jesus erzählte diese Geschichte als Metapher für das Himmelreich. Der Herr, der Talente verteilt, steht für Gott. Die Knechte stehen für die Menschen. Unklar scheint jedoch, was Jesus mit den anvertrauten Talenten meinte, die den Menschen ihren Fähigkeiten gemäss verteilt werden. Zur Zeit Jesu war ein Talent ein ungeheuer grosser Geldbetrag, mit dem man sich ein Transportschiff hätte kaufen können. Aber Gott stellt den Menschen ja nicht unmittelbar Geld zur Verfügung, sondern schenkt uns vielmehr ein offenes Ohr, Ideen und Begabungen.

Dass der Herr für den dritten Knecht jedoch kein Verständnis zeigt, finde ich ungerecht.

Das Wort Talent, das ursprünglich einer Gewichtsangabe für Silbermünzen entsprach, änderte seine Bedeutung nicht von ungefähr. Nach der Reformation begann sich das Wort Talent im Sinne einer Begabung auszubreiten, weil man die Gaben Gottes in dieser Geschichte so deutete. Unser Wort Talent kommt also tatsächlich von dieser Geschichte. Was ursprünglich eine Metapher war, nahm eine neue Bedeutung an.

«Geh ein in die Freude deines Herrn!», sagt der Herr zu den ersten beiden Knechten, und das denke auch ich manchmal über Menschen mit Begabungen, wenn auch nicht in diesem Wortlaut. Dass der Herr für den dritten Knecht jedoch kein Verständnis zeigt, finde ich ungerecht. Wieso ist es schlecht, auf Nummer sicher zu gehen? Machen wir uns schuldig, wenn wir unseren Beitrag nicht leisten und unsere Talente nicht miteinander teilen?

Ich selber merke, dass es nicht nur andern Freude macht, wenn ich meine Talente auslebe, sondern ich auch selber diese Freude des Herrn erlebe. Wenn ich beispielsweise mein Talent, Menschen zusammenzubringen, nutze, anstatt es unter To-do-Listen und anderen Verpflichtungen zu vergraben, dann fühle ich mich dem Himmelreich ein kleines Stückchen näher.

Texte: Tovia Ben-Chorin / Gabriel Vetter / Michal Maurer | Fotos: Gage Skidmore / pd / Michel Canonica / zVg – Kirchenbote SG, Mai 2020

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