Hilft das Beten?
Drei Antworten auf diese Frage sind häufig anzutreffen:
Erstens: Beten hilft nicht, es schadet. Statt sich den Tatsachen zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und das Nötige zu tun, flüchtet man sich ins Gebet. Beten ist unreif und unverantwortlich.
Zweitens: Beten hilft, nämlich der betenden Person selbst. Sie kommt dabei zur Ruhe, sie ordnet ihre Gedanken, sie gewinnt etwas Abstand zu allem, was sie in Beschlag nimmt, sie stärkt in sich Dankbarkeit, Vertrauen, Gelassenheit und Zuversicht, alles Dinge, die nachweislich einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit und Lebenszufriedenheit haben.
Drittens: Beten hilft, uns Gott näherzubringen, die Beziehung zu Gott zu stärken, uns in die Gottesbeziehung einzuüben.
Ich halte alle drei Antworten für problematisch. Als Antwort auf die gestellte Frage haben sie zwar alle ihre Berechtigung – das Problem liegt vielmehr in der Frage. «Was hilft Beten?» – es wird nach dem Nutzen des Gebets gefragt und damit vorausgesetzt, dass Sinn und Wert des Gebets sich an seiner Nützlichkeit bemessen. Das zielt am Wesenskern des Gebets vorbei, und deshalb haftet allen Antworten etwas zutiefst Irritierendes an, ganz gleich, wie viel Richtiges sie als Antwort auf die gestellte Frage enthalten mögen.
«Beten ist nicht Einübung in die Beziehung, es ist Ausüben der Beziehung.»
Beten ist Beziehung. Eine Beziehung ist nicht etwas, was ich tue. Ich trete ein in den Raum der Beziehung, lasse mich davon umfangen, darin lebe, atme, liebe und handle ich. Das Du in der Beziehung ist nicht einfach mein Gegenüber; die Beziehung konstituiert mein Ich, das eben nie einfach «mein» Ich ist. Im Gebet lasse ich mich auf das göttliche Du ein, auf die Gottesbeziehung – im Dank, im Gotteslob, in der Bitte und der Fürbitte, in der Klage. Ich lasse Gott das Licht sein, in welchem ich die Welt, meine Mitmenschen, mich selbst betrachte und das mir Orientierung im Leben und Handeln gibt .
Aber, könnte jemand einwenden, entspricht dies nicht gerade der dritten Antwort? Ihr geht es doch auch um die Gottesbeziehung!
Ja, aber sie verkennt etwas Grundlegendes: Beten ist nicht Einübung in die Beziehung, es ist Ausüben der Beziehung. Es ist nicht ein Mittel zum Zweck der Beziehung, es ist die gelebte Beziehung! Natürlich hat es eine die Beziehung stärkende Wirkung, die Beziehung zu leben, aber nicht deshalb leben wir sie, sondern um ihrer selbst willen. Das gilt für Liebe und Freundschaft in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, und es gilt ebenso für die Gottesbeziehung. Die Frage nach dem Nutzen einer Beziehung ist dieser abträglich. Sie steht in Gefahr, diese zu instrumentalisieren, sie in den Dienst eines anderen Gutes zu stellen – der Moral, der eigenen Psychohygiene, oder, merkwürdig gespalten, der anderweitig verstandenen Beziehung.
Text: Karin Scheiber, St.Gallen | Bild: Joël Roth – Kirchenbote SG, Dezember 2017
Solange wir von aussen darauf blicken, sind wir mit einer unausweichlich scheinenden Paradoxie konfrontiert: Das Beten als gelebte Gottesbeziehung «hilft» tatsächlich in mancherlei Hinsicht. Sobald wir aber aus diesem Grund ins Gebet treten, verderben wir seinen Beziehungscharakter. Nur deshalb nicht auf den Nutzen des Gebets zu schielen, damit dieser nicht gefährdet wird, löst das Paradox nicht, sondern verlagert es bloss auf die nächsthöhere Ebene. Es gibt nur ein Entkommen: In den Raum der Beziehung treten und ins Gotteslicht eintauchen, in welchem die Frage nach dem Nutzen allen Glanz einbüsst.
Hilft das Beten?