Heimatort Himmel
Schweizerinnen und Schweizer haben etwas, was viele andere nicht haben: einen Heimatort. Zur Personenidentifikation ist er wichtiger als der Wohnort, sichtbar auf jeder Identitätskarte und in jedem Pass. Haben Christinnen und Christen auch so etwas wie einen besonderen Heimatort?
Die christliche Gemeinschaft vereint Menschen aus allen Nationen, Sprachen, Kulturen und sozialen Schichten.
Bis vor acht Jahren hatte der Heimatort tatsächlich eine konkrete Bedeutung: Konnte jemand nicht mehr für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen, so war die Heimatgemeinde verpflichtet, als letzte Anlaufstelle für ihren Bürger zu sorgen. Ortsbürger sind ausserdem Mitinhaber des gemeinsamen Landbesitzes der Ortsgemeinde.
Für viele ist der Bürgerort auch heute noch mit einem Gefühl von Verbundenheit und Beheimatung verknüpft: ein Ort, mit dem sie sich identifizieren. Als man sich vor ein paar Jahren im ganzen Kanton St. Gallen ohne Kostenfolge an seinem Wohnort einbürgern lassen konnte, haben das in Buchs beispielsweise mehr als tausend Personen getan. Der Heimatort ist auch der Ort, wo die eigene Familie ihre Wurzeln hat. Bekannt ist die sprichwörtliche «Grabser Dreieinigkeit: Eggenberger, Vetsch und Gantenbein».
Vielfältige Gemeinschaft
Warum das alles wichtig ist? Weil es Anhaltspunkte bietet zur Beantwortung der Frage, wo eigentlich Christinnen und Christen ihren Heimatort haben. Die Christenheit ist ja eine vielfältige Gemeinschaft von Menschen aus allen Nationen, Sprachen, Kulturen und sozialen Schichten. Das Verbindende ist der Glaube an Jesus Christus, den Mensch gewordenen Sohn Gottes, der an Weihnachten aus seiner himmlischen Heimat auf die Welt kommt und an Auffahrt wieder dorthin zurückkehrt. In seiner letzten langen Rede zu seinen Jüngern öffnet Jesus die Perspektive für diese jenseitige Heimat. Er verspricht den Jüngern in Joh 14: «Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich dann etwa zu euch gesagt, dass ich dorthin gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?»
Fremdlinge auf Erden
«Wir sind Fremdlinge und Gäste auf Erden», lesen wir darum folgerichtig an mehreren Stellen in der Bibel. Wo aber sind wir dann zu Hause? Der Hebräerbrief hält fest: «Diese Welt ist nicht unsere Heimat; wir erwarten unsere zukünftige Stadt erst im Himmel.» Eindrücklich beschreiben die letzten beiden Kapitel der Bibel in Offb 21-22 diese himmlische Stadt, das neue Jerusalem.
Auf den Umzug in diese, seine eigentliche, Heimat freute sich der Apostel Paulus. In Rom in Gefangenschaft, nicht wissend, ob seine Gerichtsverhandlung vor dem Kaiser zu seiner Freilassung oder zu seiner Hinrichtung führt, schreibt er den Mitchristen in Philippi: «Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn.» Wenn er stirbt, ist Paulus überzeugt, dann kommt er in seinem wirklichen Heimatort an. Dann ist er vereint mit der welt- und zeitumspannenden Familie der an Christus Glaubenden.
Zugegeben: eine Provokation für heutige Menschen aus dem westlichen Kulturkreis, wo nur noch eine Minderheit eine Weiterexistenz nach dem Tod überhaupt in Betracht zieht. Gleichzeitig eine hoffnungsvolle Perspektive für die, die sich nach mehr sehnen, als diese irdische Welt zu bieten hat: Heimatort Himmel.
Text: Marcel Wildi, Pfarrer, Buchs | Foto: Friedrich Stark, epd-Bild – Kirchenbote SG, Juli-August 2020
Heimatort Himmel