News aus dem Kanton St. Gallen

Götzenbild des kollektiven Heils

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19.10.2020
In der Geschichte vom Goldenen Kalb ist Kollektivgold bloss «einen Dreck wert».

Mit Blitz und Donner begegnet Gott Mose auf dem Berg Sinai und übergibt ihm die Zehn Gebote. Währenddessen gibt Moses Bruder Aaron dem Flehen des Volkes nach, das immer wieder «sichtbare» Götter fordert, «die vor uns hergehen». Er fordert das Volk auf, die goldenen Ohrringe der Frauen, Söhne und Töchter abzureissen und ihm zu bringen. Daraus giesst er ein goldenes Kalb. Als Mose vom Sinai heruntersteigt und das Volk im wilden Tanz um dieses Götzenbild sieht, zerbricht er im Zorn die Gesetzestafeln. Er verbrennt das Kalb, zermalmt es, löst das Pulver in Wasser auf und lässt es das Volk trinken. Und er übt Rache, blutige Rache, zusammen mit seinen Getreuen. So erzählt die Bibel in Exodus 32 die Geschichte vom Goldenen Kalb.

Ausufernder Staat als «Götze»

Nach landläufiger Deutung ist der «Tanz ums Goldene Kalb» die Verherrlichung von Reichtum und Geld, um das sich in einer kapitalistischen Gesellschaft – angeblich – alles dreht. Doch diese Deutung wird dem Bibeltext nicht gerecht. Das goldene Kalb symbolisiert nämlich nicht das private Kapital. Es entsteht ja aus dem zusammengeschmolzenen Goldschmuck, aus dem einzigen tragbaren Privatvermögen der Nomaden, ihrer privaten Vorsorge sozusagen. Dieses Privatvermögen wird im goldenen Kalb kollektiviert. Durch das Opfer für die Gemeinschaft sollte dann von einer offenbar käuflichen Gottheit das kollektive Heil erlangt werden.

Wenn wir den Begriff «Götze» durch das Kollektiv, den ausufernden Staat, ersetzen, sind wir nahe bei dem, was Staatsgläubige aller Parteien auch heute noch erhoffen und umtanzen: Das durch Zwangsabgaben kollektivierte Kapital soll alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen und den Weg ins «gelobte Land» weisen. Mose aber verwirft das an Magie anknüpfende Problemlösungsverfahren. Er pulverisiert das goldene Kalb und fügt den Goldstaub dem Trinkwasser bei – eine kluge, irreversible Entsorgung. Die Illusion, man könne durch zwangsweise Umverteilung Gutes bewirken, kann so nicht wieder neu entstehen.

Aus Gold wird Kot

Es gibt beim Bericht über die Entsorgung des pulverisierten Goldkalbes via Trinkwasser noch eine weitere Pointe. Die mittelalterlichen Alchemisten versuchten, aus Dreck Gold zu machen. Das von Mose praktizierte Entsorgungsverfahren geht den umgekehrten Weg. Der Goldstaub wird verdaut, er wird zu Kot. Das Kollektivgold ist für immer «aus den Augen, aus dem Sinn». Es ist entsorgt und eignet sich in Zukunft weder als Wertanlage noch als Fetisch, weder als Tauschmittel noch als Objekt der Besteuerung. Dahinter steckt die Botschaft: Gold hat keinen Gebrauchswert. Es ist in der Wüste buchstäblich «einen Dreck wert». Denn das eigentlich Wertvolle ist dort das Trinkwasser.

Eine grammweise Rückgabe des Goldes an die ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzer wäre unmöglich gewesen. Sie hätte zu endlosen Streitereien geführt, weil ja die Kollektivierung die Schmuckeigentümerinnen ungleich getroffen hatte. In dieser Hinsicht war Mose ein weitsichtiger Mensch.

Text: Konrad Hummler, Teufen AR | Bild: Getty Images – Kirchenbote SG, November 2020

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