News aus dem Kanton St. Gallen
Interreligiöser Dialog

Glauben Muslime, Christen und Juden an den gleichen Gott?

von Stefan Degen
min
27.08.2024
Wie heisst Gott? Was ist in der Religion erlaubt, was verboten? Warum ist Jerusalem so wichtig? Acht Fragen und Antworten zu den drei monotheistischen Weltreligionen.

 

1. Wie wird man Christin, Muslimin oder Jüdin? 

Die traditionelle Antwort lautet: Christin wird man durch die Taufe auf den Dreieinigen Gott. Muslimin wird man, indem man in eine muslimische Familie hineingeboren wird oder durch das bewusste Aufsagen des islamischen Glaubensbekenntnisses. Jüdin wird man durch die jüdische Mutter oder durch Konversion. Aus liberaler Sicht kann man allerdings kritisch hinterfragen, welche Instanz das Recht hat, zu entscheiden, wer als «richtige» Christin, Muslimin oder Jüdin gilt.

2. Wie lautet das Glaubensbekenntnis?

Das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada, lautet: «Ich bekenne, dass es keinen Gott ausser Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.»

Christliche Bekenntnisse sind in der Regel trinitarisch aufgebaut. Sie sind nicht in Stein gemeisselt, sondern es gilt, den Glauben immer wieder neu zu bekennen. Eine Sammlung christlicher Bekenntnisse ist im Reformierten Gesangbuch ab der Nummer 261 zu finden.

Auch im Judentum gibt es Gebete mit Bekenntnischarakter, etwa das «Schma Jisrael»: «Höre Jisrael: ER ist unser Gott, ER ist Einer. Liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht.»

Steckbrief Judentum

  • Entstanden vor ca. 3000 Jahren im
    Nahen Osten
  • Ca. 10 Millionen Anhänger weltweit
  • Jüdische Gemeinde St. Gallen: jgsg.ch


3.
Wie heisst Gott?

Juden sprechen den Gottesnamen – die hebräischen Buchstaben JHWH – aus Ehrfurcht nicht aus. In der Thora wird dieser Name gedeutet: «Ich werde sein, der ich sein werde.» Daneben gibt es weitere Gottesbezeichnungen, etwa «der Heilige» oder «der Ewige».

99 «schöne Namen Gottes» kommen nach islamischer Zählung im Koran vor, z.B. «der Barmherzige», «der Frieden» oder «der Kräftige». Jeder dieser 99 Namen stehe für eine Eigenschaft Allahs (Arabisch für «Gott»).

Im Christentum werden neben dem Wort «Gott» auch trinitarische Bezeichnungen wie «Vater», «Schöpfer», «Sohn», «Jesus Christus» und «Heilige Geistkraft» verwendet – es gibt aber auch weibliche Gottesbilder in der Bibel.

4. Glauben Muslime, Christen und Juden an den gleichen Gott?

Das hängt davon ab, was man unter «gleich» versteht. Zwischen dem «selben» und dem «gleichen» besteht ein Unterschied: Haben mein Nachbar und ich dasselbe Auto, so teilen wir uns das Fahrzeug. Haben wir das gleiche, so fahren wir beide je einen Fiat Punto.

Allerdings ist Gott kein Auto. Er entzieht sich dem menschlichen Zugriff. Genau genommen vergleicht man also nicht Gott selbst, sondern die eigenen Gottesvorstellungen. Und die weisen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf – auch innerhalb der Religionsgemeinschaften. Welche Gemeinsamkeiten es braucht, damit man vom «gleichen» Gott spricht, ist letztlich Definitionssache.

Steckbrief Christentum

  • Entstanden vor knapp 2000 Jahren in Palästina
  • Ca. 2,3 Milliarden Anhänger weltweit
  • Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen SG-Appenzell: agck.ch/sg-ai-ar


5.
Wie offenbart sich Gott?

Christinnen glauben, dass sich Gott in einem Menschen offenbart hat, nämlich in Jesus Christus. Nach islamischem Glauben hat sich Gott in einem Buch offenbart, dem Koran. Biblische Gestalten, etwa Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus werden als Propheten anerkannt, wobei mit Nachdruck bestritten wird, dass letzterer Gottes Sohn sei. Nach jüdischer Vorstellung enthält die Thora Gottes Offenbarung. Alle drei Religionen ringen seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden darum, die Offenbarung mit der menschlichen Vernunft in Einklang zu bringen.

6. Was sind die heiligen Schriften?

Der Tanach, die heilige Schrift im Judentum, ist abgesehen von der Reihenfolge der Bücher identisch mit dem reformierten Alten Testament (katholische Bibeln erhalten zusätzlich die sogenannten Apokryphen). Der Tanach besteht aus der Thora (den fünf Büchern Mose), den Propheten (z.B. Jesaja) und den Schriften (z.B. Psalmen). Zentrales Thema ist der Bund Gottes mit dem Volk Israel.

Zur christlichen Bibel zählt zusätzlich das Neue Testament, das vom Leben, der Kreuzigung und der Auferweckung Jesu erzählt.

Der Koran, das heilige Buch der Muslime, wurde dem Propheten Mohammed vom Erzengel Gabriel diktiert, so der islamische Glaube. Die Kapitel, Suren genannt, sind (mit Ausnahme der ersten Sure) der Länge nach geordnet. Der Koran erzählt viele bekannte biblische Geschichten neu.

Steckbrief Islam

  • Entstanden vor ca. 1400 Jahren auf der arabischen Halbinsel
  • Ca. 1,8 Milliarden Anhänger weltweit
  • Dachverband der Ostschweizer
    Moscheen: digo.ch


7.
Warum ist Jerusalem so wichtig?

Jerusalem war die Hauptstadt des Königreichs Juda bis zu dessen Untergang im Jahr 587 v. Chr. Im Tempel wurden den Überlieferungen nach die Tafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt. Tempel und Stadt wurden durch die Babylonier zerstört und Teile der Bevölkerung verschleppt. Doch Jerusalem blieb für Juden auch im Exil ein Sehnsuchtsort – in biblischen Zeiten und bis heute. Die Klagemauer (im Bild) war Teil des später gebauten herodianischen Tempels, der 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde.

Im Christentum ist Jerusalem wichtig, weil Jesus hier gewirkt hatte. Hier wurde er gekreuzigt und nach christlichem Glauben vom Tode auferweckt.

Nach islamischer Überlieferung ist der Prophet Mohammed in einer Nacht von Mekka nach Jerusalem geritten, dort Abraham, Mose und Jesus begegnet und in den Himmel gereist – dort, wo heute die al-Aqsa-Moschee steht.

8. Was ist erlaubt, was verboten?

Im orthodoxen Judentum gibt es die Halacha, eine Sammlung von 613 Geboten und Verboten, die auf die Thora zurückgehen. Sie betreffen viele Aspekte des Lebens, koscheres Essen, Gebete und den Sabbat.

Das islamische Recht unterscheidet unter anderem zwischen halal (erlaubt) und haram (verboten). Traditionell verboten ist es, Alkohol zu trinken und Schweinefleisch zu essen.

Sowohl im Judentum als auch im Islam gibt es Strömungen, die die strikte Befolgung religiöser Gebote nicht mehr für zeitgemäss halten.

Im reformierten Christentum gibt es keine expliziten religiösen Regeln. Man soll sich aber den Mitmenschen und der Schöpfung gegenüber anständig verhalten – nicht, um damit vor Gott zu bestehen, sondern aus Dankbarkeit dafür, von ihm bereits gerechtfertigt zu sein, so die klassische reformierte Ethik.

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