Geordnetes Läuten
Glockenklänge waren für Bea Känel schon immer etwas Schönes und Emotionales. Sei es an der Viehschau in St. Georgen, ihrem früheren Wohnort, oder an ihrem Arbeitsort, in der Kirche St. Laurenzen in St. Gallen. Dort ist Känel seit 19 Jahren Mesmerin und somit verantwortlich für die fünf Glocken, die die Altstadtgassen im Vollgeläut mit einem reinharmonischen G-Dur-Akkord in feierliche Stimmung tauchen.
So gern sie die Glockenklänge hat, Bea Känel darf den Läut-Computer natürlich nicht nach Belieben bedienen. Wann welche Glocken wie lange erklingen dürfen, ist in der Läutordnung der Kirchgemeinde St. Gallen C geregelt. In diesem Dokument, das von der Kirchenvorsteherschaft erlassen wird, ist im Detail aufgelistet, zu welchen Anlässen wie geläutet wird.
So kann auch das Klangbild dem Anlass angepasst werden – manchmal voll und kräftig, manchmal fein und leicht. Sonntagmorgengottesdienste werden in der Laurenzenkirche mit Vollgeläut eingeläutet. Dieses kommt zudem beim Einläuten an Vorabenden von Sonn- und Festtagen, bei der Bundesfeier um 20 Uhr oder an Silvester und Neujahr von 23.45 bis 23.58 Uhr bzw. von 0 bis 0.15 Uhr zum Einsatz.
Fünf Glocken – knapp zwölf Tonnen
«Gerade das Silvester- und Neujahrsläuten ist für mich immer ein wichtiger Moment», erklärt Mesmerin Bea Känel. «Dann kann ich mich nochmals an die schönen, aber auch an die weniger schönen Dinge des vergangenen Jahres erinnern und aufs neue Jahr blicken.»
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Blieb das sogenannte Schrenzen aus, stieg ein kleiner Trupp auf den Turm, um zu sehen, ob der Wächter eingeschlafen war.
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Ein- und ausgeläutet werden ausserdem die Versammlungen der Kirchgemeinde und der Ortsbürgergemeinde. Für den Kantonsrat gibt es zu Beginn jeder Legislatur ein Vereidigungsläuten. Ausserordentliche Anlässe wie etwa das Friedensläuten nach dem Zweiten Weltkrieg oder, aktueller, das schweizweite Läuten für die Opfer der Coronapandemie oder diesen Frühling für die Opfer des Kriegs in der Ukraine bewilligt die Kirchenvorsteherschaft kurzfristig.
Das Ausläuten wird stets per Knopfdruck ausgelöst. Nach den Gottesdiensten oder nach Abdankungen erklingt jeweils nur die grösste Glocke mit ihrem warmen, tiefen G. Nach Trauungen und Konzerten mit Gottesdienstcharakter schwingt hingegen die zweittiefste Glocke, ein tiefes H. Konzerte ohne Gottesdienstcharakter werden nicht ausgeläutet. Nach Palmsonntags- und Weihnachtskonzerten kommt wiederum nur die tiefste und schwerste Glocke zum Zug. Wenn diese alleine pendelt, machen sich die knapp 6 Tonnen Bronzelegierung am stärksten bemerkbar. Dann schwingt der ganze Kirchturm mit, die Turmspitze bewegt sich zehn Zentimeter hin und her. Beim Vollgeläut tarieren die vier übrigen Glocken, die zusammen nochmals etwa 5500 Kilogramm auf die Waage bringen, dieses Turmpendeln etwas aus.
Laurenzen als Wachturm
In jedem Fall ist es nicht ratsam, während des Geläuts den Turm zu besteigen – zumindest nicht ohne guten Gehörschutz. Der Glockenstuhl wurde nicht eingerichtet, um dem erhabenen Klang aus nächster Nähe zu lauschen, sondern um in der ganzen Stadt gehört zu werden. Nach dem grossen Brand 1215 richteten die Stadtbürger auf dem Laurenzenturm den städtischen Wachturm ein. Nach der Reformation musste der Turmwächter nicht nur bei Gefahr, sondern nachts zu jeder vollen Stunde die Trompete blasen, und zwar nach der Anzahl der Stundenschläge. Blieb dieses sogenannte Schrenzen aus, stieg ein kleiner Trupp auf den Turm, um zu sehen, ob der Wächter – trotz regelmässiger Glockenschläge – eingeschlafen war.
Heute hat der Laurenzenturm keine städtischen Sicherheitsfunktionen mehr. Die Turmuhr ist ferngesteuert und liegt weiterhin in der Zuständigkeit der Stadt. Das Geläut gehört der Kirche. Bea Känel steuert und programmiert den Läut-Computer. Sie kann rasch reagieren, wenn zum Beispiel aufgrund einer elektronischen Panne die Glocke nicht mehr aufhört zu schlagen. Solches ist während ihrer Zeit als Laurenzen-Mesmerin aber zum Glück erst einmal passiert.
Text | Fotos: Roman Hertler, Journalist, St. Gallen – Kirchenbote SG, Dezember 2022
Geordnetes Läuten