News aus dem Kanton St. Gallen

Gebote befreien

min
22.12.2020
«Du sollst keine anderen Götter haben neben mir», lautet das erste Gebot. Doch dieser Monotheismus ist nicht intolerant und einengend, sondern befreiend. Denn Gott hat das Volk Israel aus der Sklaverei geführt.

Die Zehn Gebote beginnen eigentlich nicht mit dem ersten Gebot, sondern mit der Präambel: «Ich bin der Herr, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus.» Das ist wichtig. Die Zehn Gebote sind für freie Menschen. Sie zeigen den Weg zur Freiheit. Und bevor Gott sagt, was wir tun sollen, sagt er, was er tut und wer er ist. Wenn wir das nicht sehen, fällt zu viel Last auf uns.

Frösche kommen an Land

Die israelitischen Sklaven hatten Gott erfahren als den Befreier aus Ägypten. Die Götter Ägyptens hatten ihr Sklavendasein legitimiert. Nun erlebten sie einen Gott, der mächtiger war als die Götter Ägyptens und sie erlebten, dass dieser Gott nicht nur ein Lokalgott war, sondern der Herr über die ganze Schöpfung. Das zeigte sich in den zehn Plagen, die zuvor über Ägypten kamen und die Grenzen der Schöpfung verschoben: Die Frösche kamen aus dem Wasser an Land, der Tag wurde zur Nacht. Grundlegende Schöpfungsordnungen verschwammen. Aus dieser Erfahrung heraus wurde dann die Schöpfungsgeschichte formuliert: Gott ist Herr über das Chaos, nicht Apophis, der ägyptische Chaosgott. Er ist der Gott aller Menschen, weil er der Schöpfer der ganzen Welt ist.

Mystisch, nicht intolerant

Man hat den monotheistischen Religionen vorgeworfen, sie seien intolerant, weil sie nur einen Gott duldeten. Aber in der damaligen Situation mit Göttern, die Unterdrückung und Menschenopfer legitimierten, war dieses Gebot nötig. Und das ist es auch heute noch. Allerdings darf es nicht benutzt werden, um Zwang auszuüben. Monotheismus ist eigentlich Mystik, weil er einen unsagbar grossen, umfassenden Gott anbetet. Das erste Gebot will nicht Intoleranz fördern, sondern es will sagen: Dieser eine, allmächtige und all-liebende Gott ist für alle Menschen da.

Daran knüpft auch das Neue Testament an. Das Markusevangelium etwa ist stark von der Befreiungserfahrung des Auszugs aus Ägypten geprägt. Darum kommen die Wunder dort gehäuft am Anfang vor. Wie die Wunder beim Auszug aus Ägypten. Jesus befreit zuerst, damit die Menschen erkennen: Gottes Gebote zielen auf die Heilwerdung und Befreiung aller Menschen.

Text: John Bachmann, Pfarrer, Grabs | Illustration: Sandra Künzle, St. Gallen – Kirchenbote SG, Januar 2021

Unsere Empfehlungen

Ohne Blutpathos ist das Kreuz nicht blutleer (1)

Das Ostermotiv ist Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens: Kreuzigung und Auferweckung. Oft wird davon in blutigen Bildern gesprochen – von Christi Erlöserblut, das Sünden reinigt. Da stellt sich die Frage: Geht das auch ohne Blutpathos?