Nachdem die Reformation sich auch in Frankreich ausbreiten konnte, wurden die Hugenotten genannten Reformierten als Ketzer verfolgt und bekämpft. Während dem ersten Pogrom der Neuzeit wurden in der Hauptstadt im Jahre 1572 in der Bartholomäusnacht etwa 2000 Hugenotten ermordet und in den darauffolgenden Wochen in anderen Städten etwa 10 000.
Diese Kämpfe endeten bei breitem internationalem Protest mit der Befriedung des Landes durch das von König Heinrich IV. 1598 erlassene Edikt von Nantes.
Aufhebung des Edikts von Nantes
Dieses Edikt gab den reformierten Christen in Frankreich erstmals eine Grundlage für ein relativ unbedrohtes Leben und eine in Grenzen freie Religionsausübung. Es hatte aber keinen dauerhaften Bestand. Die Einschränkungen der religiösen Freiheit wurden laufend erweitert.
Den Schlusspunkt dieser Kampagnen gegen die Hugenotten bildete am 18. Oktober 1685 die Aufhebung des Edikts von Nantes durch König Louis XIV. Dies bedeutete: Zerstörung aller reformierten Kirchen im Lande, Gottesdienstverbot und Verbot der reformierten Schulen überall, Aufforderung an die Prediger, zu konvertieren oder das Land innert zwei Wochen zu verlassen, während allen übrigen Hugenotten die Auswanderung verboten wurde.
Das Verbot konnte aber rund 170 000 Hugenotten nicht daran hindern, ihre Heimat zu verlassen und primär in das protestantische Ausland zu fliehen. Sie begaben sich als Glaubensflüchtlinge in die calvinistischen Gebiete der Niederlande, auf dem Seeweg nach England und via Genf, Bern, Zürich in die reformierten Kantone der Schweiz, über Schaffhausen und Basel in die deutschen Territorien, vor allem nach Brandenburg-Preussen und Hessen-Kassel. In den vom Dreissigjährigen Krieg entvölkerten Gebieten waren sie auch als Träger wirtschaftlicher Fähigkeiten sehr willkommen. Sie haben sich in der neuen Heimat gut integriert und man stösst heute noch auf alte Hugenottennamen wie zum Beispiel de Maizière.
Etwa 70 000 Hugenotten wurden in der Schweiz aufgenommen und mehrere hundert kamen bis nach St.Gallen.
Zurückhaltung in St. Gallen
Die reformierten Orte der Schweiz verhandelten wiederholt an Sondertagsatzungen und Konferenzen das Thema der geflohenen Hugenotten. Die Stadtrepublik St.Gallen zeigte sich in der Aufnahme von Flüchtlingen vorab wegen des gespannten Verhältnisses zur Fürstabtei und um die Handelsprivilegien Frankreichs nicht auf Spiel zu setzen offiziell sehr zurückhaltend. Sie erklärte sich bereit, anderen Städten dafür finanzielle Unterstützung zu leisten.
Man muss sich aber auch vergegenwärtigen, dass die Stadt St.Gallen damals nur etwa 6000 Einwohner zählte und die Hunderte Immigranten gar nicht hätte verkraften können. So diente St.Gallen für viele als kurze Zwischenstation, von der aus sie sich erholt und mit einem Weggeld versehen über Schaffhausen auf die Weiterreise in die deutschen Gebiete begaben.
In der Stadt St.Gallen hatten die Kaufleute (Gesellschaft zum Notenstein) wie auch verschiedene Familien schon früher und wiederholt, aber lange erfolglos die Einführung eines französischen Gottesdienstes beantragt. Und plötzlich wurde dies nur zwei Wochen nach der Aufhebung des Edikts von Nantes möglich! Erleichtert wurde dieser Beschluss nämlich, weil die Kaufleute für die Kosten aufkamen und sich unter den ersten Flüchtlingen ein Pfarrer, Isaac Suchier, befand, der für diese Aufgabe eingesetzt werden konnte.
Französische Kirche St. Gallen
Die Kaufmannschaft (heute: Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell IHK) ist bis in die heutige Zeit Trägerin der Eglise française geblieben. Sie hat alle 27 bisherigen Pfarrer bis hin zur aktuell amtierenden Pfarrerin Simone Brandt angestellt und die namhaft mitfinanzierenden Kantonalkirchen und Kirchgemeinden vertraglich und mittels einer Commission d’Eglise zusammengehalten.
Seit 1957 ist die Französische Kirche St.Gallen mit ihrem sich über die Kantone St.Gallen, beide Appenzell, Glarus und Thurgau erstreckenden Einzugsgebiet, mit Gottesdienststationen in St.Gallen, Rapperswil, Rorschach und Glarus, gemäss Kirchenordnung als kirchliche Vereinigung im Rahmen der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen anerkannt.
Neue Entwicklung
Das Jahr 2015 markiert eine neue Entwicklung. Die IHK hat die Verantwortung für die Wahl und Anstellung der nächsten Pfarrperson auf den Verein der Mitglieder der Französischen Kirche St.Gallen übertragen. Mittels einer Stiftung bündelt sie über deren Stiftungsrat die an der Trägerschaft der Französischen Kirche beteiligten Kantonalkirchen und Kirchgemeinden. So leistet sie weiterhin einen sehr wichtigen Beitrag an die Weiterexistenz dieser heute noch sehr lebhaften kirchlichen Gemeinschaft.
Dieser wichtige Entwicklungsschritt war denn auch Grund, das auf den Tag 330-jährige Bestehen der als Kulturbrücke wirkenden Französischen Kirche am 1. November in der St. Mangen-Kirche in einem zweisprachigen Gottesdienst mit vielen Gästen zu feiern.
Text: Paul Strasser | Bild: ps/as – Kirchenbote SG, Dezember 2015
Flucht vor 330 Jahren