News aus dem Kanton St. Gallen

Farbe, Feierlichkeit, Frömmigkeit

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28.11.2017
Zum 250-Jahr-Jubiläum der Stiftsbibliothek und der Kathedrale St. Gallen gibt die Winterausstel-lung der Stiftsbibliothek Einblick in das religiöse und geistige Leben in der Fürstabtei St. Gallen in der Barockzeit. Aber auch Exponate zum Reformationsjubiläum sind zu sehen.

Das religiöse und geistige Leben in der barocken Fürstabtei war voller Farbe, Feierlichkeit und Frömmigkeit. Nach der Reformation hatte sich der Katholizismus in seinem eigenen sozialen Raum neu organisiert. Es herrschte Optimismus, der sich in einer dynamischen Bautätigkeit, grossen reli- giösen Festen, kulturellen Aktivitäten wie Theateraufführungen und der Entwicklung im Bildungs- wesen zeigte. Die moderne Wissenschaft erlebte noch vor der Aufklärung ihre erste Blütezeit.

Ein Meisterwerk

Der Rückblick auf die Barockzeit beginnt mit dem Baulichen, der 1755–1767 erbauten Klosterkirche und der 1757–1767 durch die gleichen Baumeister und Künstler geschaffenen Klosterbibliothek. Das 1752 als Planungs- und Entscheidungsgrundlage der letzten Vorbereitungsphase ent- standene Kirchenmodell von Bruder Gabriel Loser ist ein wichtiger Zeuge aus der Bauzeit. Der ba- rocke Bibliothekssaal ist ein Glücksfall. Hier kamen einige der bedeutendsten Barockkünstler ge- gen Ende ihres Lebens noch einmal zusammen und schufen mit ihrer ganzen Erfahrung ein letztes Meisterwerk, das seinesgleichen sucht.

Netz hochwertiger Baudenkmäler

Bemerkenswert ist darüber hinaus die Errichtung zahlreicher qualitätvoller Barockkirchen in der fürstäbtischen Landschaft ab 1720. Sie bilden ein Netz von hochwertigen Baudenkmälern, welches in enger Beziehung mit dem Weltkulturerbe Kloster St. Gallen steht und durch weltliche Ba rockbauten wie das Kornhaus in Rorschach, das Schloss Ebringen oder das Haus zur Lieben Hand in Freiburg im Breisgau ergänzt wird.

Barocke Buchkunst und Festkultur

Das Kloster St. Gallen pflegte auch während der Barockzeit die Buchkunst auf überdurchschnittlichem Niveau. Insbesondere Handschriften für den Gottesdienst oder für besondere Feste wurden mit viel Aufwand und Kunstsinn hergestellt, anfänglich auf Pergament, später dann auf Papier. Religiöse Feste spielten eine wichtige, den Jahresablauf gliedernde Rolle. Das Kirchenjahr war ge- spickt mit Ritualen und Feiern, die gelegentlich durch ausgelassene weltliche Festivitäten begleitet wurden, wie der noch ins Mittelalter zurückgehende Begriff der «Messe» zeigt.

Jubiläen

Im 17. Jahrhundert entstand ausgehend von der Feier des 100jährigen Reformationsjubiläums 1617 auch im katholischen Raum eine lebhafte Jubiläumskultur, die bald auch auf persönliche Feste ausgedehnt wurden. So erhielten wichtige Vertreter etwa zu ihrem Namenstag oder zu Jahrestagen kirchlicher Weihen aufwendig gestaltete Festschriften.

Eine besondere, originelle Art von Festschrift stellen die liturgischen Gewänder und Kopfbedeckungen aus Pergament zu Jubiläen der St. Galler Fürstäbte Gallus Alt (1654–1687) und Joseph von Rudolphi (1717–1740) dar, die von intellektuell und künstlerisch äusserst begabten Mönchen geschaffen wurden. Kasel (Messgewand), Stola (ein streifenförmiges Tuch, das über die Schultern gelegt wurde), Manipel (ein streifenförmiges Tuch, das über dem linken Unterarm getragen wurde), Mitra (Kopfbedeckung des Abtes), Birett (Kopfbedeckung für Priester) und Abtsstab befin- den sich heute noch im Domschatz der Kathedrale St. Gallen. Die Kasel für Fürstabt Gallus Alt von 1685, ein einzigartiges Stück, wird in der Ausstellung gezeigt und ziert das Ausstellungsplakat.

Katakombenheilige

Eindrückliche ausserordentliche Feste waren die Überführungen von sogenannten Katakomben heiligen in die stiftsanktgallischen Lande. Das waren Skelette, die in den römischen Katakomben entdeckt, als Heilige erklärt und in der Regel mit fiktiven Namen versehen wurden. Nachdem in den reformatorischen Bilderstürmen viele Reliquien – in St. Gallen etwas diejenigen von Gallus, Wiborada, Rachild, Magnus und Fides – verlorengegangen waren, ermöglichten diese neuen Heili- gen das Wiederaufleben des bei den Leuten beliebten Reliquienkults.

Theater und Musik

Ein besonderes Zeugnis für eine Reliquientranslation ist der Kupferstich der riesigen Prozession, die 1680 anlässlich der Überführung der Heiligen Sergius, Bacchus, Hyacinthus und Eras- mus in die Stiftskirche St. Gallen stattfand. Daran nahmen – ohne Schaulustige – mehrere tausend Personen teil. In theatralischem Umzug wurden je zwei der Heiligen von 12 prächtig gekleideten Soldaten, 12 Pferden, vier Jünglingen und zwei Fahnenträgern zur Bühne vor der gerade erbauten Galluskapelle eskortiert, wo ein aufwändiges Theater mit Szenerien und drei Orchestern inszeniert wurde. Anschliessend erfolgte die Beisetzung in der Stiftskirche.

Zwei Kalender in St. Gallen von 1584 bis 1701

Nach der Reformation grenzten sich die beiden christlichen Konfessionen voneinander ab. Diese Trennung der konfessionellen Milieus war hart und in mancher Hinsicht absurd. Beispielsweise galten in St. Gallen von 1584 bis 1701 zwei verschiedene Zeitrechnungen, der neue gregorianische Kalender in der katholischen Fürstabtei und der alte julianische in der reformierten Stadt. Die Differenz betrug zehn Tage und betraf auch Feste wie Weihnachten, Ostern oder Neujahr. Eine der wichtigsten Verteidigungsschriften für den gregorianischen Kalender, verfasst vom Wiener Kleriker Johannes Rasch, erschien 1589 in der Fürstabtei St. Gallen, gedruckt von Leonhard Straub in Rorschach.

Geistiges Leben in den Büchern der Klosterdruckerei

Ein wichtiges Instrument für die religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung war die Klosterdruckerei, die von 1633 bis zur Klosteraufhebung um 1800 rund tausend Bücher und Bro- schüren sowie mehrere tausend Einblattdrucke herstellte. Sie spiegeln sowohl das aktive geistige Leben in der Fürstabtei als auch ihre Verwaltungstätigkeit.

Das vielleicht schönste Produkt der St. Galler Klosterdruckerei ist das 1695 herausgegebene Werk Innocentia vindicata («Die bewahrte Unschuld») von Fürstabt Cölestin Sfondrati (Abt 1687–1697), mit 47 ausgezeichneten Kupferstichen des reformierten Augsburger Künstlers Gabriel Ehinger (1652–1736). Inhaltlich handelt es sich um ein emblematisches Loblied zu den Tugenden Marias, wissenschaftlich verbrämt durch den gelehrten Sfondrati. Unter dem Titel Una domat («Eine bändigt») beispielsweise setzte er die unbefleckte Empfängnis Marias in Beziehung zum Einhorn, denn dieses könne nur durch Jungfräulichkeit gezähmt werden.

Erforscher des St. Galler Klosterplans

Das hohe wissenschaftliche Niveau der Konventualen in der Barockzeit zeigt ein Blick auf deren Bedeutung für die Erforschung des St. Galler Klosterplans, den die St. Galler Mönche als erste ent- deckten, einordneten, transkribierten und abzeichneten. Am Anfang der Klosterplanforschung steht der St. Galler Mönch, Baumeister, Bibliothekar und Rechtsgelehrte Jodocus Metzler (1574– 1639).

Wissenschaft der Neuzeit

Die hohe Qualität der Handschriften der Klosterbibliothek lockte bedeutende Gelehrte der Zeit nach St. Gallen, etwa Jean Mabillon, Kardinal Angelo Maria Quirini, Augustin Calmet oder Martin Gerbert. Heinrich Canisius liess sich von den St. Galler Mönchen für ein grosses Editionswerk zahlreiche Texte abschreiben und Etienne Baluze konnte 1673/74 St. Galler Handschriften nach Paris ausleihen. Ein Blick auf das Werk der klostereigenen und auswärtigen Wissenschaftler, die zur Ba- rockzeit über die Bestände der Stiftsbibliothek und des Stiftsarchivs St. Gallen forschten, macht deutlich, dass es schon vor der Aufklärung eine hochstehende Forscherszene gab.

Nachlass von Aegidius Tschudi 1768

Kurz nach der Inbetriebnahme der neuen Bibliothek ergänzte Fürstabt Beda Angehrn (Abt 1767– 1796) im Jahr 1768 die Sammlung durch den bedeutenden Büchernachlass des Schweizer Gelehr- ten Aegidius Tschudi (1505–1572). Unter den 120 Tschudi-Handschriften befanden sich herausra- gende Einzelstücke wie die berühmte Nibelungenhandschrift B oder das Handbuch des Reichenauer Abts, Dichters und Gelehrten Walahfrid Strabo. Es zeugt von der Wertschätzung von Bibliothek und Wissenschaft, dass der Fürstabt bedeutende Mittel aus der Klosterkasse für diesen Kauf aufbrachte.

 Zeugnisse zur deutschen Bibel

Anlässlich des Reformationsjahrs zeigt eine Sondervitrine wichtige Zeugnisse zur Geschichte der deutschen Bibel. Bereits im Frühmittelalter, im 9. und 11. Jahrhundert, sind Teile des alten und neuen Testaments übersetzt worden, die in Handschriften der Stiftsbibliothek über- liefert sind. Und schon vor Luther sind 18 deutsche Bibeldrucke erschienen, von denen der wohl schönste neben Luthers «Septembertestament» gezeigt wird.

Ausstellungskatalog und öffentliche Vorlesungen

Im reich illustrierten Ausstellungskatalog beschreiben Cornel Dora, Franziska Schnoor und Karl Schmuki die wichtigsten Aspekte der barocken Fürstabtei. Das Werk wird eingeleitet durch einen überblicksartigen Beitrag des renommierten Barockkenners Peter Hersche und abgeschlossen durch eine Betrachtung der Deckengemälde der Stiftsbibliothek unter besonderer Berücksichti- gung der griechischen Kirchenväter.

Begleitend zur Ausstellung veranstaltet die Stiftsbibliothek gemeinsam mit der Universität St. Gal- len drei öffentliche Vorlesungen im Musiksaal im Dekanatsflügel (Donnerstag, 30. November, 7. und 15. Dezember, jeweils um 18.00 Uhr, Eintritt frei). 

 

Text: Stiftsbibliothek St. Gallen Fotos: Andreas Schwendener – Kirchenbote SG, 28. November 2017 

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