«Einer muss den ersten Schritt machen»
Am 21. März, dem internationalen Tag gegen Rassismus, lud der Verein Christlich-Jüdische Projekte in Basel zum gemeinsamen Fastenbrechen von Juden, Muslimen und Christen ein. In Bern hatten Juden und Muslime in dieser Woche bereits im Haus der Religionen das muslimische Fastenbrechen nach Sonnenuntergang im Ramadan gefeiert. Doch in Basel findet eine Premiere statt: Muslime und Juden fasten an diesem Tag im Gedenken an die Königin Esther gemeinsam.
«Aus dieser Gemeinsamkeit des Fastens und des Verzichts heraus haben wir diesen Abend geplant. Uns verbindet, dass wir in einer Zeit, in welcher der Dialog so schwierig ist, die Begegnung über den eigenen Kreis hinaus suchen», sagt Peter Bollag vom Verein Christlich-Jüdischer Projekte zur Begrüssung.
Vertreterinnen und Vertreter aller drei Religionsgemeinschaften hatten den Weg ins Vereinshaus «Neuer Cercle» gefunden: unter ihnen Rabbiner Moshe Baumel von der Israelitischen Gemeinde Basel, Ibrahim Yesilyayla und Nusret Temizel vom muslimischen Kulturverein Ideal sowie Regula Tanner und Andreas Möri vom Forum für Zeitfragen in Basel.
Ein erstes Treffen mit Familie
Das Fastenbrechen war nicht die erste Begegnung von jüdischen und muslimischen Gläubigen seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Bereits wenige Tage danach fand ein erster kurzer Austausch statt. Andreas Möri, Islambeauftragter der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, war einer der Initiatoren. Dort sei die Idee einer Begegnung zwischen Juden und Muslimen im familiären Rahmen entstanden.
Ende Januar hatte dann die Israelitische Gemeinde Basel den muslimischen Kulturverein Ideal eingeladen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren empfing die jüdische Gemeinde in Basel Muslime in ihren Räumen – und zum ersten Mal nahmen Muslime die Einladung an. Nusret Temizel vom Kulturverein gibt zu, dass es ihn und andere Überwindung gekostet habe, er ist aber froh, den Schritt gewagt zu haben. «Einer muss den ersten Schritt machen», meint er schlicht.
Das erste Treffen fand weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. Nusret Temizel erzählt, dass seine beiden Kinder während des Treffens fragten, wann denn endlich die Juden kämen. «Sie waren doch schon längst da, nur sahen sie aus wie alle anderen», sagt er schmunzelnd.
Strenge Speisevorschriften
Berührungsängste gibt es nicht am Abend des gemeinsamen Fastenbrechens im «Neuer Cercle». Die dreissig Teilnehmenden verteilen sich bunt gemischt an den fünf Tischen. Das Essen, das die Gastgeberin Smadar Heid zubereitet hat, ist koscher. Für die Musliminnen und Muslime ist das kein Problem. Alles, was koscher zubereitet wird, gilt auch als helal und entspricht den muslimischen Regeln. Umgekehrt ist das nicht so einfach. Die jüdischen Speisevorschriften sind strenger als die muslimischen, als die christlichen sowieso.
Claude Salmony bestätigt das. Er ist an diesem Abend als Gast aus der jüdischen Gemeinde anwesend: «Wir haben viele nichtjüdische Freunde, aber wir können sie nur zu uns zum Essen einladen, umgekehrt geht das leider nicht. Das ist manchmal etwas unhöflich, aber es geht nicht anders, wenn wir die Regeln einhalten wollen.» Er erzählt, dass es in einem jüdischen Haushalt zum Beispiel doppeltes Geschirr gibt, damit Fleisch und Milch nie den gleichen Teller berühren.
Monat des Korans
Die Speisevorschriften der Muslime sind nicht ganz so streng. Aber während der 30-tägigen Fastenzeit des Ramadans werden sie eingehalten. Nusret Temizel erklärt den Anwesenden, dass die 30 Tage Fastenzeit für die 30 Teile des Korans stehen. So lange dürfen Musliminnen und Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken. Es gibt nur wenige Ausnahmen.
In den muslimischen Gemeinden werden die Fastentage streng gehandhabt und selbst manch säkularer Muslim verzichte im Ramadan auf das Rauchen – zumindest bis Sonnenuntergang, erzählt Nusret Temizel.
Jüdinnen und Juden kennen zwar keine längere Fastenzeit am Stück, aber die fünf Fasttage des jüdischen Kalenders werden ebenfalls streng befolgt. Der wichtigste Fasttag ist Jom Kippur, wie Rabbiner Moshe Baumel sagt, oder eben Ta'anit Esther, den Fasttag, den sie heute gemeinsam mit Muslimen und Christen beenden. Drei weitere Tage fasten Juden aus Trauer über die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. «Denn wenn ein Mensch traurig ist, mag er nicht essen», sagt Moshe Baumel.
Fasten für die spirituelle Vertiefung
Sowohl Baumel als auch Temizel betonen, dass es beim Fasten nicht um das Körperliche gehe, sondern darum, sich besser auf die spirituelle Verbindung mit Gott zu konzentrieren. Die Fastenregeln ähneln sich: Kein Essen und Trinken während des Tages oder dass heilige Tage die Fastentage «aufheben». Das heisst: Fällt ein Fastentag auf den Shabat bei den Juden oder auf den heiligen Freitag bei den Muslimen, wird nicht gefastet.
So wie die jüdischen und muslimischen Gläubigen von ihren Traditionen erzählen, scheint das Regelwerk gar nicht mehr so kompliziert und der interreligiöse Dialog an diesem Abend einfach. Oder wie es Nusret Temizel ausdrückt: «Der Prophet sagt, wenn ich aus dem Fenster rufe, dann ist jeder, der mich hören kann, mein Nachbar. Er ist weder Christ noch Jude, sondern mein Nachbar. Und als Nachbar hat er eine grosse Bedeutung für mich.»
«Die meisten von uns können nur in ihrem direkten Umfeld etwas verändern», sagt Temizel weiter. Sicher gebe es einzelne in seiner Gemeinde oder in seiner Familie, die nicht verstehen, was er jetzt getan habe. «Aber wir brauchen diese Begegnungen, diesen Dialog. Am Anfang scheint es vielen falsch, aber am Ende machen sie mit.»
Das Forum für Zeitfragen betreibt zusammen mit den Christlich-Jüdischen Projekten, der Basler Muslim Kommission und der Kirchgemeinde Gundeldingen-Bruderholz die Plattform religonen_lokal, die mit ihrem Bildungs- und Begegnungsangebot religiöses Wissen aus erster Hand vermittelt und das friedliche Zusammenleben fördert. Drei interreligiöse Gesprächsgruppen treffen sich zweimal pro Quartal für den Austausch zu aktuellen Fragen rund um Religion und Gesellschaft.
Das gemeinsame Fastenbrechen fand im Rahmen der «Anti-Rassismus-Woche» des Kantons Basel-Stadt statt.
«Einer muss den ersten Schritt machen»