Ein Zürcher Spielball
Ulrich Zwingli stammt aus Wildhaus und aus Briefen ist seine Zuneigung zur Toggenburger Heimat bekannt. In seinem Wirken vertritt er aber gegenüber der Ostschweiz im Wesentlichen die machtpolitischen Zürcher Interessen. Zürich hat Erfolg: Es kann im Frühjahr 1531 feststellen, dass die angestrebte Vormachtstellung in der Ostschweiz erreicht ist. Das Toggenburg hat sich mit Zürcher Unterstützung von der Fürstabtei St.Gallen losgekauft. Der Fürstabt ist vertrieben und das Kloster ist gestürmt. Die «Alte Landschaft», das Fürstenland von Rorschach bis Wil, ist wie das Rheintal reformiert.
Das alles bedeutet: Mehr oder weniger das gesamte Gebiet der stolzen katholischen Fürstabtei St. Gallen gehört dem reformierten Zürich. Zentrum ist die reformierte Stadt St.Gallen, die das Kloster bekommen soll.
St. Gallen: Strategischer Fixpunkt
Für diese Entwicklung gibt es drei Ursachen. Die Reformation ist nicht einfach ein religiöses Geschehen, sondern eng verflochten mit politischen und wirtschaftlichen Ebenen. Wenn die politische Obrigkeit wie in Zürich die Reformation befördert, hofft sie dabei auch auf Ausbau ihrer Macht. Erste Ursache ist daher der Expansionsdrang der Zürcher. «Zürich hatte in der Reformationszeit die Absicht, seine Territorien auszudehnen. Darum war die Ostschweiz für Zürich von hohem Interesse», sagt der Historiker Max Baumann. Motivation entsteht auch, als das starke Bern 1528 zur Reformation beitritt. Zürich ist nun gefordert, sein Gewicht innerreformiert zu stärken.
Territoriale Expansion vorangetrieben
Zweitens ist es Zwingli selbst, der eine territoriale Ausweitung vorantreibt. Von ihm stammt ein sogenannter «Feldzugsplan» von Ende 1525. Die reformierte Stadt St.Gallen spielt darin für sein politisches und strategisches Denken eine zentrale Rolle. «Zwingli mass der Verbindung Zürich–St.Gallen für die Sicherung und Ausbreitung der Reformation fundamentale Bedeutung zu», schreibt Kurt Spillmann, der emeritierte Professor für Sicherheitspolitik.
Vadian und Zwingli wechselten Briefe
Dritte Ursache ist die Aufnahme der Stadt St.Gallen in das «Christliche Burgrecht», dem Bündnis der evangelischen Städte, im November 1528. St. Gallen wird damit zum gleichberechtigten Partner von Bern und Zürich. Die von der katholischen Fürstabtei umschlossene Stadt hat dadurch mehr Selbstbwusstsein und wird offensiver. Dass es dazu kommt, ist auch ein Produkt der Verbindung von Zwingli und Vadian, die in einem Briefwechsel stehen.
Zwingli: Moderat oder «Hetzer»?
Einiges bleibt aber ungeklärt. Wie ist das Verhältnis zwischen Zwingli und dem Zürcher Rat? Wer ist Antreiber der Expansionspolitik? Baumann beschreibt in der St. Galler Kantonsgeschichte von 2003 Zwingli als «Hetzer» gegen das Kloster St.Gallen. Peter Opitz, Autor der aktuellen Zwingli-Biografie, sieht das anders: Das Verhalten der Zürcher Obrigkeit sei zwar «nicht frei von machtpolitischen Überlegungen gewesen». Dem Reformator aber sei es vor allem um den Schutz der «religiösen Gemeindeautonomie» gegangen.
Schutz der religiösen Gemeindeautonomie
Mit diesem durch die Zürcher installierten Recht haben sich Gemeinden des Fürstenlands zur Reformation entschieden. Ungeklärt ist auch, wie viel Selbstbestimmung die Zürcher dem Fürstenland, Toggenburg und Rheintal einräumen wollten. Baumann zitiert ein Schreiben, in dem die Limmatstadt diese Gebiete in vier Vogteien unterteilen und beherrschen will. Den Zürchern begegnete man daher auch mit Misstrauen: Warum sollte die Fürstenländer «Gotteshausleute» den Glauben wechseln, wenn ihnen als Reformierte ein ähnliches Untertanendasein blüht?
Der Zweite Kappelerkrieg schafft dann neue Tatsachen. Durch den Tod von Zwingli am 11. Oktober 1531 entstehen die konfessionellen Verhältnisse, die bis heute in groben Zügen im Kanton St.Gallen bestehen.
Text: Daniel Klingenberg, St.Gallen | Foto: as – Kirchenbote SG, Januar 2018
Ein Zürcher Spielball