News aus dem Kanton St. Gallen
Kommentar von Stefan Degen

Drei Religionen, ein Urvater

min
25.08.2024
Abraham war ein Tausendsassa, auf den sich drei Religionen berufen. Doch das gemeinsame Erbe allein reicht nicht für ein friedliches Zusammenleben.

Der Mann hatte ein Leben! Mit 75, wenn sich unsereins langsam mit dem Übergang vom dritten zum vierten Lebensabschnitt beschäftigt, legte er erst richtig los: Hunderte Kilometer zog er durch die Wüste, überlebte Kriege und Hungersnöte, feilschte mit Gott um Sodom und Gomorrha und beendete eine Geiselnahme. Jahrelang erhoffte er sich Kinder, doch als endlich zwei Söhne zur Welt kamen, schickte er den einen in die Wüste und machte sich bereit, den andern eigenhändig zu töten. Zusammen mit einem Sohn errichtete er die Kaaba in Mekka.

Abraham ist sein Name, oder Ibrahim auf Arabisch. Diese Geschichten über ihn stammen aus der Genesis – dem ersten Buch der Thora und der Bibel – und aus dem Koran. Seinetwegen werden Judentum, Christentum und Islam «abrahamitische Religionen» genannt.

Eine grosse Nachkommenschaft und ein Land hatte Gott dem kinderlosen Nomaden versprochen, als er ihn aufforderte, loszuziehen. Brav folgte Abraham dem göttlichen Marschbefehl. Doch mit dem Nachwuchs klappte es zunächst nicht. Darum half Abraham der göttlichen Verheissung nach: Statt mit seiner betagten Frau Sara zeugte er mit deren Magd Hagar einen Sohn, Ismael, der als Ahne der Araber gilt. Als Sara im zarten Alter von 90 doch noch schwanger wurde und Isaak gebar, war der Konflikt vorprogrammiert.

«Avraham Avinu» wird Abraham im Judentum genannt: «Unser Vater Abraham». Durch ihn schloss Gott – nach jüdischer Lesart – einen Bund mit dem jüdischen Volk. Aber auch die Christen berufen sich auf ihn: «Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams» – so beginnt das Neue Testament. Paulus stellt Abraham im Römerbrief gar ins Zentrum seiner Theologie: «Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.» Und im Koran wird der Islam als «Millat Ibrahim» bezeichnet, als «Religion Abrahams». Abraham gilt im Islam als der erste Muslim. Drei Religionen, ein Urvater.

Heute leben im Kanton St. Gallen Juden, Christen und Muslime friedlich nebeneinander, Tür an Tür. Das ist nicht selbstverständlich: Auch in der Schweiz hat der Hass seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der Eskalation im Nahen Osten zugenommen.

Um friedlich zusammenleben zu können, reicht letztlich ein blosses Leben-und-leben-Lassen nicht aus. Man muss einander kennen, einander begegnen. Deswegen sind Dialogveranstaltungen wie jene in Rapperswil so wichtig. Und es braucht verlässliche Informationen, die man kursierenden Halbwahrheiten und Verleumdungen entgegenhalten kann. Dazu liefert dieser Fokus einen Beitrag.

Stefan Degen, Redaktor St. Galler Kirchenbote.

Stefan Degen, Redaktor St. Galler Kirchenbote.

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