Die St. Galler Kantonalkirche hat ein Problem mit der Öffentlichkeit
«In Abwägung protokollarischer Grundsätze, den Interessen der Öffentlichkeit sowie zum Schutz der beteiligten Personen entschied sich das Büro der Synode, auf eine Schriftlichkeit der einzelnen Voten an dieser Stelle zu verzichten.» So begründete die erste Version des Synodeprotokolls, keine einzelnen Wortmeldungen der Debatte zur Wahl Kai Kellenbergers als neue Kirchenschreiberin wiederzugeben (der «Kirchenbote» berichtete).
Dagegen hatte der Synodale Markus Anker (Tablat–St. Gallen) eine Protokollbeschwerde eingereicht, welche das Büro der Synode guthiess. Zu Recht. Denn die Debatte war öffentlich, die Zuschauer- und Pressetribünen waren offen – auch der «Kirchenbote» war da. Alle, die sich dafür interessierten, konnten sich die Voten der Synodalen anhören. Alle ausser Kai Kellenberger und ihr Vorgänger Markus Bernet. Diese waren nämlich in Ausstand getreten und hatten den Saal verlassen.
Wohlgemerkt: An der Wahl Kellenbergers ist nichts auszusetzen. Die Qualifikation der auf Religionsrecht spezialisierten Juristin ist unbestritten. Handfeste Kritikpunkte wurden in der Debatte kaum geäussert, oft war von «Bauchgefühl» die Rede. Kellenberger schaffte die Wahl mit 103 Ja- zu 24 Nein-Stimmen (bei 19 Enthaltungen) klar (Synodenbericht im «Kirchenboten»).
Die Episode um die Protokollbeschwerde macht aber drei Punkte deutlich.
Erstens müssen sich die Synodalen bewusst sein, dass sie ein öffentliches Amt innehaben. Sie sind von den Kirchgemeinden gewählt und den Kirchbürgerinnen und Kirchbürgern verpflichtet. Ihre Voten sind öffentlich. Sie müssen sich gut überlegen, was sie sagen, und zu ihren Äusserungen stehen. Die erste Version des Protokolls erscheint als etwas hilfloser Versuch, potenziell verletzende Äusserungen zu glätten, um niemandem auf die Füsse zu treten.
Dass der Kirchenrat einzelnen Synodalen Einsicht in die Bewerbungsunterlagen gewährte, ist unverständlich.
Zweitens muss auch der Kirchenrat über die Bücher. An der Synode wurde deutlich, dass er einzelnen Synodalen Einsicht in die Bewerbungsunterlagen gewährt hatte. Der Kirchenrat habe entschieden, sagte Kirchenratspräsident Martin Schmidt an der Synode, «die Zeugnisse und die Bewerbungsunterlagen nicht eins zu eins allen Synodalen zu schicken, auch aus persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Überlegungen.» Es habe aber die Möglichkeit bestanden, auf Anfrage einen Blick in die Zeugnisse zu werfen, so Schmidt – nur hatten die meisten Synodalen von dieser Möglichkeit nichts erfahren.
Dieses Vorgehen des Kirchenrates ist unverständlich. Entweder muss er allen Synodalen Einsicht in die Bewerbungsunterlagen gewähren. Dann müssen aber auch alle auf diese Möglichkeit hingewiesen werden und dies muss der Stellenbewerberin von Anfang an klar kommuniziert werden. Oder es besteht für Synodale kein Einsichtsrecht – auch nicht auf Anfrage. Hier fehlte es dem Kirchenrat an einer klaren Linie.
Drittens steckt in der Wahl des Kirchenschreibers ein Systemfehler. Denn die Stellenbesetzung erfolgt sowohl über eine Bewerbung beim Kirchenrat als auch über eine Wahl durch die Synode. Erstere ist ein vertraulicher Bewerbungsprozess, wie er bei Angestellten der Kantonalkirche üblich ist. Letztere ist eine öffentliche Wahl analog zur Wahl in den Kirchenrat. So kam es, dass die Kantonalkirche mit dem Umstand konfrontiert war, dass ein vertraulicher Bewerbungsprozess «plötzlich» in eine öffentliche Wahl überging.
Die Lösung wäre einfach. Entweder die Kirchenschreiberin wird (nur) vom Kirchenrat ernannt oder (nur) von der Synode gewählt. Das erste Modell kennt die Zürcher Landeskirche. Dem zweiten Modell entspricht die Wahl des Schweizer Bundeskanzlers durch das Parlament. Möglich sind beide. Nur sollte sich die Kirche für eines entscheiden. Die geplante Verfassungsrevision bietet die Gelegenheit dazu.
Die St. Galler Kantonalkirche hat ein Problem mit der Öffentlichkeit