Die neue Laurenzen-Orgel lässt keine Wünsche offen
Zum zweiten Mal haben «Orgelvater» Bernhard Ruchti und die weiteren Verantwortlichen vergangenes Wochenende zum Festakt in die St.Laurenzenkirche geladen. Von einer «full inauguration» war die Rede, nachdem die erste Orgeleinweihung im vergangenen September aufgrund baulicher Verzögerungen in abgespeckter Variante durchgeführt werden musste.
Illustre Gäste aus Politik und Wirtschaft
Endlich sind die neuen Pfeifenwerke der einzigartigen Surround-Orgel komplett installiert. Nebst Konzerten, einer Orgelführung und einem Kindertheater war die Vernissage zur Begleitpublikation am frühen Samstagabend das feierliche Highlight des Festivals «Die fertige Laurenzen-Orgel», Sekt und illustre Gäste aus Politik und Wirtschaft inklusive. So liessen es sich etwa Stadtpräsidentin Maria Pappa, Stadtrat Mathias Gabathuler oder die neu gewählte Regierungsrätin Bettina Surber nicht nehmen, sich unter die zahlreichen Gäste zu mischen.
Es hatte gute Gründe, dass so viel Prominenz zugegen war. Schliesslich liess man sich bei der Anschaffung der neuen Laurenzen-Orgel nicht lumpen, war daher auf zahlreiche Spenden und Sponsorenbeiträge angewiesen und wollte das erfolgreiche Gelingen endlich gebührend feiern.
Die Zwinglianerin und die Millionenorgel
Satte 3 Millionen Franken hat das Instrument gekostet. Eine Dimension, die auch innerhalb der Kirche anfänglich für Stirnrunzeln und Skepsis sorgte. Von Moderator Röbi Koller darauf angesprochen, sagte Laurenzen-Pfarrerin Kathrin Bolt, als Zwinglianerin habe sie gestutzt, als sie von der Millionenorgel erfuhr. Hätte man das Geld nicht besser den Menschen zukommen lassen, die es benötigen?
«Wir Reformierten sind eine Kirche des Worts. Wir wollen aber nicht nur reden und von der Kanzel herunter belehren, sondern auch berühren, in die Tiefe gehen. Der neue Orgelklang mit seinem vollen Bass kann viel dazu beitragen.» So versöhnte sich die Zwinglianerin doch noch mit dem Jahrhundertprojekt – und liess die Kirchenoberen beiläufig wissen, dass sie nichts gegen eine Aufhübschung des Abendmahltischs einzuwenden hätte.
Ein entscheidender Ermöglicher – nebst Ideengeber und Initiant Bernhard Ruchti und Orgelkommissionspräsidentin Deborah Weber – war alt Stadtrat Fredy Brunner. Als es mit der Geldbeschaffung irgendwann harzte, sei er zur Stelle gewesen. «Fredy ist der Held, Fredy kann alles», verkündete die Kommissionspräsidentin augenzwinkernd, bevor sie zum Schluss der Feier den Korken knallen liess.
Fredy Brunner fand das Projekt zunächst überrissen
Brunner gab sich bescheiden, als Präsident des Patronatskomitees müsse man ja bloss den Kopf für ein Bild hinhalten und irgendwo unterschreiben. Als Röbi Koller nachhakte, räumte er dann ein, dass es vielleicht doch etwas mehr brauchte als das. Er erzählte, dass er sich als Jugendlicher einmal aufgeregt habe, weil man die Kirche so teuer renovierte.
Auch er fand das Orgel-Projekt zunächst überrissen. Mit einigen rhetorischen Schlenzern und der Klage über den «nicht eben kirchenfreundlichen Zeitgeist» schilderte er sein Umdenken: «Wir pulverisieren in dieser Welt ja gerade unsere moralischen Grundlagen. Dabei wäre ein Zusammenspiel wichtig. Mit Gleichgültigkeit holen wir niemanden ab.» Er sei glücklich, dass so ein verbindendes Projekt in St. Gallen möglich sei.
Kirchenratspräsident ging ‹all in›
Auch Martin Schmidt war zunächst skeptisch. Zu seinen Aufgaben als Präsident des Kirchenrats gehört es, sämtliche regionalen Interessen im Blick zu behalten. Daher ist er äusserst bedacht darauf, dass auch die kantonalkirchliche Peripherie und nicht nur die Zentrumsstadt berücksichtigt wird. «Aber diese Orgel hat eine Strahlkraft in den ganzen Kanton und darüber hinaus. Darum fanden auch wir, wir sollten ‹all in› gehen. Wo, wenn nicht in St. Gallen, könnte ein solches Projekt realisiert werden.» Ergänzend zu den Erwägungen der Pfarrerin bezeichnete er die «Kirche des Worts» als Mythos. In den 1990er-Jahren sei man noch zur «Predigt» gegangen, heute sei vom «Gottesdienst» die Rede. Mit Verweis auf Nietzsche forderte er, dass in der Kirche fröhlichere Lieder gesungen werden sollen.
Im Zentrum des Abends stand ein Fröhlicher: Der Laurenzen-Organist Bernhard Ruchti strahlte mit seinem neuen, komplett elektronisch gesteuerten Instrument um die Wette. Ruchti umrahmte den Festakt musikalisch. Zum Teil von Violine, Saxophon und Gesang begleitet, bot er mit seinem vielseitigen Repertoire einen Einblick in die Klangwelten, die sich in der Laurenzenkirche nun auftun. Klar gab es die klassischen Klänge, Bach, Händel, aber es wurden auch das Stück «Fix you» der britischen Poprock-Band Coldplay und «Gabriella’s Song» aus dem schwedischen Musicalfilm «As It Is In Heaven» intoniert. Am Nachmittag beim Kinderkonzert war es nebst traditionellen Kirchenorgelklassikern und Brahms’ Ungarischem Tanz Nr. 4, bei dem der Surround-Klang besonders schön zur Geltung kam, der Queen-Hit «We Will Rock You».
Pop-Musik aus dem 21. Jahrhundert
«Fast alles ist möglich», erläuterte Bernhard Ruchti im Gespräch mit Röbi Koller. Besonders orchestrale Musik eigne sich, und davon gebe es auch in der modernen Popmusik des 20. und 21. Jahrhunderts nicht zu wenig. Der Laurenzen-Organist hat an diesem Abend mehr als einmal gezeigt, dass er mehr will, als einfach die ausgetretenen Traditionspfade abzuschreiten. Die Experimentierfreude wird etwa durch die eingebaute Perkussion zusätzlich beflügelt. «Bernhards Wünsche wurden allesamt erfüllt», erklärte Deborah Weber. Sie selbst hätte sich noch ein zusätzliches «Fern-Werklein» gewünscht, wie sie es auf einer Orgel-Besichtigungsreise durch Europa in Trondheim gesehen haben. Das wäre technisch allerdings nicht umsetzbar gewesen.
Dabei haben die Erbauer unter der Leitung von Simon Hebeisen, Geschäftsleiter der Goll Orgelbau AG in Luzern, keine Mühen gescheut und im doppelten Wortsinn herausragende Arbeit geleistet, wie rundum anerkannt wurde. Und das in einer stets «angenehmen Atmosphäre», wie es Mesmerin Bea Känel in ihrem Rückblick auf die «spannende, intensive und herausfordernde Zeit» ausdrückt. Sie hatte in den vergangenen Jahren alle Hände voll zu tun, um auch während der Bauphase einen möglichst reibungslosen Kirchenbetrieb zu ermöglichen.
Reich bebildertes Orgelbuch
Mit Sebastian Läderach, Orgelbauer im 4. Lehrjahr, und dem St. Galler Lichtkünstler Joshua Nold kam auch eine jüngere Generation zu Wort, was nicht nur Zeitgeistkritiker Fredy Brunner gefreut haben dürfte. Bei all den Stimmen, die ein lockerer Röbi Koller durch den kurzweiligen Anlass dirigierte, ging beinahe unter, dass es auch noch eine Buchvernissage war. Die Begleitpublikation, für deren Erscheinen ebenfalls Fredy Brunner verantwortlich zeichnete, ist schön geworden. Reich bebildert und über die obligaten Danksagungen hinaus eine informative orgelbautechnische und historische Lektüre. Sie trägt den Titel «Von allen Seiten umgibst du mich», ein Zitat aus dem Psalm 139, der hervorragend zum Surround-Sound der neuen Laurenzen-Orgel passt.
Die neue Laurenzen-Orgel lässt keine Wünsche offen